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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Wollheim, Gert: Bilder!
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0226

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BILDER!

VON GERT WO LL HE IM

Höflichst bitte ich. mir zu verzeihen, daß ich
mit der Tür ins Haus gefallen komme. Das habe
ich vom Maler zu sagen: Der Maler soll Bilder
malen! Einzelne in sich abgeschlossene V\ erke,
technisch und geistig dauerhaft und ganz auf
sich selbst gestellt. Hieße: der Maler soll keinen
...Maler- malen., keine Handschrift erdoktern,
kein Genie hinbauen., keinen alleinseligmachen-
den Malstil sich und andern aufzwingen., auf-
drängen, ein- und aufreden. Er soll sich nicht
selber kunsthistorisch sehen und etwa dement-
sprechend handeln. Das heißt, er soll Werke
schaffen, die ihr Gesetz empfangen aus dem
Wesen, das ihm inne wohnen soll. Die Wesen
sind Phänomene und haben ihren eigenen Stil.
Also werden Bilder Phänomene sein. Etwa so:
wird da ein Mönch gemalt, ein alter weitabge-
wandter besinnlicher Gärtner der Gottgedanken
und Demut, hat der Malstil sich danach zu rich-
ten ganz und gar in Form und Farbe. Oder ein
anderes Bild: Tenniskampf! Da hat sich der Stil
nach dessen Wesen eben zu richten, in Formund
Farbe ganz und gar. So wohnt unser Mönch allein
in seinem Bilde, einer sanft beleuchteten, mild
gefärbten Dämmerwelt, in einem Licht, das nicht
nur aus der Sonne kommt, es ist auch das der
Sterne und des Geistes. Sanft schwimmt der Kör-
per im Baum. "\ erwischt ist die Personengrenze.
Die Einheit mit der ganzen Y\ elt entsteht, die
Totalität, in der die Zeit eingeht in die Ewigkeit,
also vollendet wird und erlöst. Tenniskampf!
Das herbe weiße Licht des Tages prallt auf dem
roten Boden — weiße Hemden — Hüte —
Schirme. Die Gesichter schäumen im Schweiß,
sind hart gespannt und glitzern. Der harte blaue
Himmel zählt die Spiele und Sätze und stumme
Leidenschaft starrt mit gespannter Raubtierruhe
aus dem buntenRiesentierdes Publikums. Schlag-
schatten, Sehnen, Muskeln, Hiebbewegung. Haar-
genau trennt sich jeder Gegenstand aus derY\ elt.
So malt der Maler, kümmert sich beim Mönch
umkeineÄhnlichkeit mit Rembrandt oder Ribera,
beim Tennis um Manet nicht und Goya, die trotz-
dem seine lieben Freunde sind.
Der Maler liebt die Werke der Meister wie seine
eigenen. Erkenntkeine „altenMeister-'. DieWelt
ist weder alt noch jetztzeitig. Sie ist auch nicht
modern. Kann's da die Kunst sein? Fröhlich aber
wandern wir in den Zeiten der Meister. Die Zei-

ten gehören den Meistern und nicht die Meister
den Zeiten. Der Maler lernt aus den Y\ erken der
Kunst geradeso wie aus den Bildern der Welt.
Alles ist Natur — auch Bilder sind Natur. Wer
der Schöpfung sich zu freuen vermag, der hat
die Kunst schon lange begriffen. Für uns Men-
schen ist die Schöpfung der W elt hallbar. Die
Y\ erke der Kunst sind haltbar gemacht durch
Kenntnis und Anwendung der Gesetze der
Schöpfung.

Die Sprache der bildenden Kunst ist die einzige,
die allen Mitgliedern der Menschheit verständ-
lich und zugänglich ist ohne große Schule. In
den Höhlen der Urmenschen wurde sie ge-
boren und geht über die Jahrtausende hinweg in
die Zukunft. Durch sie sind wir allen Völkern
und mit ihrem Schicksal verbunden. Verbunden
mit ihren Göttern und Wäldern, ihren Ängsten,
Gesichten und Gesichtern hin und her. So bilden
die zeichnenden, malenden, meißelnden Men-
schen schließlich einen Weltstaat. Die Künstler
erkennen sich untereinander, lernen gerne und
eifrig einer vom andern und schämen sich der
Gemeinsamkeit ihrer Arbeit nicht. Sie spüren die
Gottheit auf in allen Dingen, sei's in einem Tier,
einem Menschen, einer Kartoffel, einem Jupiter
oder in einem Teller. Sie lösten die Farben und
die Formen von ihren Körpern und trieben so
Grammatik. Sie überdauerten die Foltern des
Lebens und gaben's nicht auf, oft auch nicht im
Hungerzwange. Sie ließen sich als Narren ver-
höhnen, als Kitscher beschimpfen, als Nichts-
wisser, Betrüger und Parasiten. Sie ertrugen, daß
Leute, die den Pinsel noch nie in die Hand ge-
nommen und mit dem Hammer niemals noch
einen Schlag auf den Meißel getan, ihnen aus
Höhen angemaßter Überlegenheit mit der Don-
nerstimme der Öffentlichkeit Ratschläge erteil-
ten, was zu machen, was zu lassen sei. Erlebten,
daß aus Laienhänden Gesetze flössen, nachdenen
sie sich richten sollten und ein Geschrei anhub
von Unberufenen, das ihnen Rrot und Haus, Bett.
Suppe, Bier und leider auch die Lebensfreude
nahm. W ir aber erleben tausend Menschen und
abertausend Welten durch ihre Bilder. Man
braucht nur Augen und ein wenig Geduld zum
Hinschauen. Durch das Betrachten kommt das
Verständnis. Verständnis aber hat die Liebe zur
Kunst im Gefolge. Die Reichtümer der Völker

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