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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Fechter, Paul: Walter Waentig
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0170

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Reihe bekannter Männer geliefert hat, sitzt er
seit Jahren am Boclensee, malt, zeichnet, radiert
jenseits der jeweils gerade Jherxschenden Mode-
strebungen, lediglich sich selbst, dem in ihm
wohnenden W illen zur Gestaltung dessen, was
eigentlicher Gegenstand der Malerei ist, näm-
lich der erlebten Sichtbarkeit, nachgehend.
Auf zwei Gebieten hat Waentig vor allem gear-
beitet. Auf dem der Landschaft und dem des
Porträts. In Sachsen, am Bodensee, im übrigen
Süddeutschland hat er sich mit der Landschaft
auseinandergesetzt und ist dabei zu Ergebnissen
gekommen, in denen der Ausgleich zwischen Ge-
fühl und Metier so rein gelungen ist, daß man
ihnen mit Vergnügen den Ehrentitel Landschaft
zugesteht, mit dem man im übrigen vor heuti-
gen Naturporträts ziemlich sparsam umgehen
muß. Waentigs Art ist von Hause aus offenbar
weich und naturnahe. Er sieht in dem Stück
Landschaft, das er gerade vor sich hat, nicht
nur ein Bildsubstrat, sondern ist gleichzeitig mit
seinem Gefühl bei den Dingen, die seine Hand
umreißt. So entsteht ein Gefüge, das nicht nur
Bild darstellt, sondern auch ein Stück Leben,
das durch die Hand aufs Papier geflossen ist.
Die Landschaft wird, ohne im Thema lyrisch zu
sein, von innen heraus lyrisch. Es gibt Zeich-
nungen von Waentig, die bei sehr malerischen
Qualitäten zugleich ganz unmittelbare Gefühls-
fixierung sind. Zuweilen hat man das Gefühl,
daß er stärker die Fixierung und ihr Gefüge be-
tonen möchte als den lyrischen Anteil, daß er
abzurücken, Distanz zu schaffen versucht. Das
Entscheidende bleibt aber bei aller malerisch
zeichnerischen Schönheit der Blätter die emp-
fundene Landschaft. Für sich allein wäre sie
noch kein malerischer Wert; da sie über eine
ruhig selbstverständliche Form des "\ ortrags
spricht, wirkt sie so klar und sauber wie heute
bei nicht eben vielen. Man kann mit diesen
Dingen leben: sie halten sich. Das ist das Beste,
was man ihnen nachsagen kann.
Sehr merkwürdig stehen neben diesen Land-
schaften die Porträts des Malers. Vor allem seine
männlichen Bildnisse. Sie sind ausgezeichnet,
weil hier ein Mensch es verstanden hat, nicht
nur den jeweiligen Einzelfall, sondern mit ihm
die ganze Atmosphäre der Schicht, aus der der
Darsteller wie der Dargestellte stammen, fühl-
bar zu machen. Waentig hat Beamte und In-

dustrielle, Großkaufleute und ihre Frauen und
Kinder gemalt. Er hat vor allem bei den männ-
lichen Porträts die ganze bürgerliche W elt die-
ser Menschen mit ergriffen und hingestellt. Ohne
Gewaltsamkeit, ohne betonende Übersteigerung
irgendwelcher Einzelheiten, rein im Ergreifen
der Atmosphäre, die um die Dargestellten ist.
Die eigene Tradition, das eigene Aufgewachsen-
sein im Umkreis dieser sächsisch-großbürger-
lichen W elt kam ihm dabei zu Hilfe; sie ermög-
lichte es ihm, sich vor seinen lebenden Objek-
ten offenbar ähnlich einem mitschwingenden
Gefühl zu überlassen wie vor seinen Landschaf-
ten. Es handelt sich um ruhige, sachliche, im
besten Sinn gut bürgerliche Porträts. In dieser
ruhigen Sachlichkeit der Darstellung ist aber
von innen heraus die gesamte Lebensatmosphäre
der immer noch tragenden bürgerlichen Kultur-
schicht von heute festgehalten. Eine Kulturtra-
dition im besten Sinn wirkt sich hier aus und
trägt die Kraft des Malers zu Ergebnissen von
bleibendem Niveau. Die lyrische Seite des Säch-
sischen bekommt hier ihre Ergänzung vom Un-
lyrischen her. Die gemeinsame Stammesunrwelt
verdichtet sich zu einer schwer faßbaren, Objekt
und -Maler verbindenden Energie, die ebenfalls
schwer faßbar und doch dem, der diese Welt
kennt, deutlich spürbar in die Bilder eingeht
und in ihnen sichtbar wird. Es gibt ein paar
Porträts von Waentig, die von hier aus zu den
besten Zeitdokumenten unserer Generation ge-
hören.

Weniger stark wirken seine Frauen- und Kin-
derbildnisse. Die gemeinsame Atmosphäre, die
den Maler mit seinen männlichen Objekten ver-
bindet, fehlt hier. An ihre Stelle tritt wieder die
Lyrik wie bei den Landschaften. Es spricht zu-
weilen ein sehr feines Gefühl vor allem für Kin-
der aus diesen Bildern: die merkwürdige, fast
unpersönlich merkwürdige Kraft der Darstellun g
eines besonderen Stammesmilieus rein auf dem
Umweg über die Darstellung der Exponenten
dieses Stammes fehlt. Was Waentig auf der füh-
lenden Seite seines VS esens besitzt, zeigen viel
stärker seine Landschaften, seine Radierungen,
Zeichnungen, Aquarelle. Hier hat er Schönes
geleistet, und man wird weiterhin noch man-
ches von ihm zu erwarten haben. Jenseits der
vergänglichen Begriffe von modern oder un-
modern. Paul Fechter

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