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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Werner, Bruno E.: Porträt zum Gedächtnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0239

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knochen. Zwischen den leicht abfallenden Brauen
läuft ein haarscharfer Nasenrücken, leicht ge-
krümmt die Stirnlinie fortsetzend, einen langen
Weg nach unten. Die Nase geht spitz aus und
senkt sich nach dem Mund, wie bei Menschen,
die einen Hang zum Sarkasmus haben. Wie der
Mund eigentlich aussieht, weiß man nicht. Ihn
überdeckt ein breiter gestutzter Schnurrbart, der
ein lichtes, farbloses Weißblond hat. Das Kinn
tritt wiederum stark hervor. Die Kinnmuskeln
sind angespannt wie bei einem Willenmenschen.
Die langen, faltigen Ohren sind stellenweise
durchsichtig wie Papier. Mit diesen Ohren kann
man hören, was man will und nicht hören, wenn
man nicht will.

Das wichtigste sind die Augen. Man kann sie
schlecht wahrnehmen, so blaß und kurzsichtig
liegen sie unter den herabgezogenen Jalousien
der Lider. Sie bleiben ganz kühl, aber ruckhaft
und scharf. Man weiß nicht, was in ihnen vor-
geht, so unbeteiligt scheinen sie. Aber man ahnt
vom ersten Augenblick an, daß sie das Wichtigste
an dem Mann sind. Die Iris ist hellblau. In der
Pupille sitzt eine weiße Sichel, Arcus senilis.
Der Mann muß älter sein, als er scheint.
Den Besucher weht ein geheimrätlicher Hauch
an. Aus den Augen trifft ihn ein kalter überheb-
licher Blick, Das ist um so erschreckender, weil
dieser alte Mann unter ihm in einem Klubsessel
liegt, die langen Beine auf einen zweiten Klub-
sessel ausgestreckt, denn er kann nicht mehr rich-
tig sitzen. Aber dann vielleicht fällt in dem
dunklen Baum, wo Gemälde herumstehen, wie
in der Kammer eines Kunsthändlers, der Name
des Ministers. Dann fährt ein jähes jugendliches
Leben in den Mann auf den beiden Klubsesseln.
Er springt auf, er läuft mit zwei langen Schritten
zum Schreibtisch, reißt die Fächer auf und holt
seine Museumspläne heraus. Zweifellos ist der
Minister der böse Feind. Der alte Mann legt sich
über den Tisch wie ein Junge und mit seiner
hohen, etwas heiseren Stimme, sagt er Dinge,
wie sie nur ein Junge sagt, — oder ein absoluter
Monarch. Unbekümmert schleudert er boshafte
Bemerkungen über den Minister dem Besucher
ins Gesicht. Er wirbt sichtbar um die Seele die-
ses x-beliebigen Menschen, der da in sein Zim-
mer getreten ist. Er hält die Pläne ausgebreitet
und man sieht, daß er um sie kämpft wie um
das Leben eigener Kinder. Hinter vermeintlicher
Kühle steckt eine innere Glut des Herrschens.
Man empfindet für diesen agressiven, kämpferi-
schen, leidenschaftlichen Menschen plötzlich tiefe
Bewunderung und Bespekt.

Er regiert als ein kluger, aufgeklärter Despot.
Er tritt für die kleinen Beamten ein und be-
schützt den schnauzbärtigen Zerberus vor seiner

Tür, wie der ihn beschützt. Er kann tagelang
um ein Bild herumlaufen, und es immer wieder
betrachten. Er hat eine ungeheuer feine Witte-
rung, die zuweilen der clair-voyance nahekommt.
Sein Wille, sich für oder gegen das Bild zu er-
klären, ist so groß wie sein optisches Gedächt-
nis. Wenn er will, steckt er auch alle Besucher
in die Tasche. Er ist schlau und hat vor den
meisten Menschen den Vorzug, im tiefsten Sinne
des Wortes ein Herr zu sein. Aber er ist alt und
empfindet es vielleicht als schöne Entbindung,
in kleinen Dingen von an deren beherrscht zu wer-
den, so, daß es nicht in sein Bewußtsein tritt.
Manchmal kommen junge, blonde Frauen mit
Bildern. Sie dürfen lange bei ihm bleiben. Sie
müssen ihm von ihrem Leben, von ihrem Mann
und von den kleinen Geschehnissen des Daseins
erzählen. Er freut sich an ihnen, wie über Hya-
zinthen auf dem Fensterbrett. Zum Schluß zie-
hen sie die Bilder hervor, die er begutachten
soll. Er findet keines einer Betrachtung unwert.
Er bleibt im Innersten unbestechlich. Aber zu-
weilen drückt er dem Bild seinen Willen auf.
Es muß ein Jan Steen oder ein Buisdael sein.
Lnd tatsächlich bestätigt sich in den meisten
Fällen einer dieser Meister. Es ist schön, in die-
sem Alter zu wissen, daß es junge Frauen gibt,
unddaß das Leben weitergeht. Denn erist83 Jahre
alt.

Der Tod scheint ihm so wTenig anhaben zu kön-
nen, wie sein hoher Vorgesetzter. Auf dem Heim-
weg wird er bei einem Zusammenstoß aus einer
Taxi auf den Bordstein geschleudert. Man hebt
ihn auf, es ist nichts. Nach ein paar Tagen kommt
er wieder ins Museum.

Aber eines Tages ist der Tod wirklich da. Er
muß ihm in einer Stunde begegnet sein, wo der
alte Mann es gut fand, sich einem fremden Wil-
len zu fügen.

Wilhelm v. Bode stirbt am 1. März 192g. An
manchen Stellen atmet man auf, diesen errati-
schen Block nicht mehr im Weg zu wissen.
Aber die ganze Welt horcht auf: Hier ist der
größte Museumsorganisator dahingegangen. Viel-
leicht würd er zu ersetzen sein.
Hier starb der größte Sammler, der sich je in den
Dienst seines Volkes gestellt hat. Auch ein sol-
cher kann bereits wieder geboren sein.
Hier ging der größte Kunstkenner dahin. Aber
vielleicht gibt es schon andere, die an seine Stelle
treten können.

Aber — hier ist einer jener ganz seltenen, gro-
ßen Totalpersönlichkeiten für die Welt verloren
gegangen, der alle jene Eigenschaften in sich ver-
einte, einer, der ein Geist- und Tatmensch war.
Und den werden wir nicht wieder ersetzen kön-
nen. Bruno E. Werner

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