Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

DOI Artikel:
Riedrich, Otto: Muss die Bildhauerkunst untergehen?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0247

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gezwungen hat. Wo sich die Plastiker Selbstän-
digkeit gewahrt haben, schweben sie wie halt-
los im Räume.

Die Plastik kommt erst zur Erfüllung ihrer Auf-
gabe in ^ erbindung mit der Baukunst. Sach-
lichkeit und Zweckmäßigkeit bedingen noch
lange nicht, daß Plastik überflüssig oder sinnlos
ist. Das Überflüssige, das Beziehungslose nur ist
wert, daß es untergehe, ihm soll niemals das
Wort geredet werden. Wenn die Plastik aus
dem Bauwerke herauswächst, wenn sie das Bau-
werk ergänzt, dann erfüllt sie ihre Aufgabe. Aber
auch als freudeweckendes Element, als Ruhe-
punkt in unendlicher, nüchterner Straßenflucht
vermag die Plastik eine wichtige Aufgabe zu er-
füllen. Es kommt immer nur darauf an, wer
der Ausführende ist. Persönlichkeiten sind da,
sie müssen nur gerufen werden.
Bei uns ist es Sitte, das Kind mit dem Bade
auszuschütten. Nur in Extremen fühlen sich die
Menschen im allgemeinen wohl, Prinzipien müs-
sen aufgestellt werden, nach Bezepten sollen die
Menschen wachsen, blühen und gedeihen, nach
festgefügten Prinzipien und Bezepten soll sich
der Schaffende entfalten, soll er gestalten. Der
Schaffende gewinnt erst an Bedeutung, wenn er
sich wissenschaftlich und historisch einordnen
läßt. Die Kunst kümmert sich aber nicht um
Entwicklung und um Historizismus, das sind
Krücken aus Pappe, mit deren Hilfe sich die
arme Menschheit hinaufentwickeln soll. Das
Künstlerische läßt sich nicht einfangen, wie
sich auch die Entfaltung des Lebens nicht ein-
fangen läßt. Eber alle derartigen Versuche
schreitet es mächtig hinweg.
Die plastische Kunst, Leben sinnbildlich in Ton,
Stein, Holz oder Bronze erstehen zu lassen, ist
herrlich. Die Architekten müßten glücklich sein,
diese unschätzbare Möglichkeit in ihren Dienst
stellen zu können, um ihrem Bauwerke dadurch
erhöhte Bedeutung und besonderes Leben zu
verleihen. Sehr wichtig ist dies für repräsenta-
tive Gebäude. Sie sollen nicht nur Zeugnis vom

Formwillen einer Gruppe geben, diese Bauwerke
müssen Ausdruck der Kulturkraft des ganzen
\olkes sein. Dazu gehören alle Gebiete, die kul-
turzeugend sind. Sie haben das Recht, sich ent-
falten zu können, sie sind notwendiges Glied.
Es ist unverantwortlich, wenn Männer an ver-
antwortlicher Stelle die Forderung der Bild-
hauer, bei Bauaufgaben berücksichtigt zu wer-
den, als lächerlich bezeichnen. Bildhauer brau-
chen wir nicht mehr, sie können sich also alle
aufhängen, soweit sie nicht schon verhungert
sind. Wahrhaftig: die Erbärmlichkeit unserer
Zeit ist groß. Weil einige Mächtige als Schaf-
fende arm sind, mit einer Kunst nichts anzu-
fangen wissen, deshalb ist sie überflüssig. Die
[Menschen aber schweigen, sie ergeben sich in
Demut, anstatt diese Bedner dem Gelächter
preiszugeben. W eil diese kein Blut, sondern nur
W asser in den Adern haben, deshalb gebären
sie nur Nüchternheit und Armut. Sie reden von
Armut und Sparsamkeit, dabei werden \ ermö-
gen für nutzlose Versuche und Berechnungen
verschwendet. Es gibt zum Glück noch andere
[Mächte in Deutschland als Berlin. Andere Städte
haben sich nicht so beengen lassen. Was in die-
sen möglich war, ist auch allgemein durch-
führbar.

Die Schaffenden also, die noch alte Gebunden-
heiten in sich fühlen, die noch in großen Rhyth-
men schwingen, sollen sich nicht irremachen
lassen. Sie mögen den inneren Stimmen ge-
horchen und ihr W erk nach den Erfordernissen
und den Gegebenheiten des Tages gestalten.
Über allen Sachlichkeitsfanatismus, der nur
heute die Macht hat, gebietet ein anderes, das
im Tiefsten unseres Seins verwurzelt ist. Dies
halte in der \ ergangenheit Geltung, es wirkt
heute, von der Mode überschattet, wird aber
morgen wieder die Macht gewinnen und alle
Künste in ihre Bechte einsetzen. Kein hohler
Götze kann sich lange aufrechthalten, er muß
fallen. Helfen wir also, daß er möglichst schnell

Stürze. Otto Biedrich

232
 
Annotationen