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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Heise, Carl Georg: Overbeck und die Nazarener: ein Deutungsversuch aus dem Geiste unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0250

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keine den verlorenen Gemeinschaftsgeist hat — und das ersparte Leid, die zu früh vorweg
wiederherstellen können, wir erst sind wieder genommene Seligkeit wurde bestraft mit dem
empfänglich geworden für die gestaltenden Zei- Fluch der Vergänglichkeit,
chen einer symbolkräftigen Kunst. Wir suchen Wie Sinnbilder zweier Möglichkeiten künstleri-
die neue, volkstümlich-verständliche Bilder- sehen Weltverhaltens stehen am Anfang der Be-
schrift und beim verführerischen Anblick des wegung die Freunde Franz Pforr und Friedrich
nazarenischen Vorbildes halten wir heute, trotz Overbeck. Pforr, der früh, schon 1812, vierund-
allen Wandels der Zeiten, bei der gleichen Ge- zwanzigjährig, gestorben ist, schien die Kraft
fahr. in sich zu haben, gerade aus dem Erleiden eines
Die Gefahr, der das Nazarenertum erlegen ist, gottgegebenen Zwiespalts echte künstlerische
läßt sich etwa so formulieren: die Sehnsucht Kräfte zu entwickeln. Overbeck sagt in einer
nach Gesetz und Begel (wie sehr kennen wir schönen Briefstelle über seinen Freund: „Und
sie auch heute!) bat bei Overbeck und seinen dies ist eigentlich der Hauptgrund seiner Schwer-
Genossen dazu geführt, dem Erleiden der anar- mut — der beständige Kampf zwischen dem,
einsehen Zustände zu früh auszuweichen und was er wünscht und dem, was er für seine Pflicht
eine Ordnung anzunehmen, die nicht aus per- hält." Aber gerade diese Lebensspannung, dies
sönlichem tiefstem Erleben stammte, sondern in Pendeln zwischen Gefühl und Geist, findet be-
der Anlehnung an alte Traditionen ihr Genüge ruhigenden Ausgleich und Erfüllung in seiner
fand. Weltanschaulich war es die katholische Kunst. Wann jemals wäre ein großer Künstler
Kirche, die den meisten die Mühsal selbstän- ein im bürgerlichen Sinne harmonischer Mensch
diger W egebahnung abnahm, künstlerisch war gewesen? Gegen den Zwiespalt seines Lebens
es das Vorbild der alten Meister, das nicht nur, steht die Einheit seines Werkes. Aber Pforr er-
wie zuerst, Befeuerung blieb und Hilfe im Geist, liegt körperlich ehe seine Kunst ganz reif ge-
sondern schließlich das eigene Streben in aus- worden ist. Overbeck — und das ist das schlim-
gefahrene Geleise leitete. Nur äußerlich wurden mere Schicksal — wird achtzig Jahre alt, aber
Künstlertum und Menschentum zusammenge- ist früh schon geistig erlegen. Sein Leben ist
stimmt, der Preis war von einer bezwingen-
Epigonentum mit al- den Geschlossenheit.
Ien fluchbeladenen Eine ungebrochene
Kräften des Fanatis- Linie führt von den
mus. Die männliche Anfängen der Jugend
Zielsicherheit fehlte, 't» * bis zur Vollendung
auszuharren, bis aus des Greises, immer
der Krankheit selbst unter der absoluten
die heilenden Kräfte "\ orherrschaft des Ge-
hätten erwachsen fühls. Doch gerade
können. Epigonen- \ das gibt im Bereich
tum und Fanatismus, der Kunst die unheil-
Phrase und erborgte baren Konflikte. Die
Form ohne innere i\ ; Jm~' gewollte Welt des
Notwendigkeit als Er- ItP^T Lnsichtbaren — des
satz für langsam rei- ^-^^^^ jmB m Gefühls, nicht des
fende, eigene schöp- ^ erstandes,derPhan-
ferische Fähigkeiten, tasie, nicht des Auges
genau das ist heute — stößt sich am un-
unsere größte Gefahr. ßi ./ vermeidbar Gegen-
So haben wir ein Or- ^^^HImB0E^ ständlichen derSicht-
gan für das W esen barkeit. Überwelt-
der Nazarenerkunst, ,J~ liebes im Gewand der
dessen Schuld einzig Realität, ohne die
darin lag, daß sie den „w-.-a ■r.>-. ■ ' Kraft zur Umbildung
W eg des geringsten des Gesehenen in
Widerstandes wählte j. schnorr y. carolsfeld. bildnis Overbecks neu gefundene Bild-

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