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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Kessler, Eva: Seltames von Kinderhand: zu den Zeichnungen der 12Jährigen Jutta Kieser
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0275

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eher trüben, als ihn klären, gibt es Momente, die
wesentlich sind für die Beurteilung einer Be-
gabung. Zu diesen gehört der zielhaft einen Weg
verfolgende Entwicklungswille des jungen Men-
schen, der die vorgezeichnete Bahn erraten läßt,
die Eigenheit und Unbeeinflußbarkeit des Aus-
drucksvermö gen s.

Die Zeichnungen der zwölfjährigen Jutta Kieser
müssen durchaus merkwürdig genannt werden;
merkwürdig nicht allein um der Begabun g willen,
die machtvoll zu uns spricht und uns in ihren
Bann zwingt, sondern viel mehr noch wegen des
eigentlich rätselhaften und verwirrenden Inhaltes
ihrer Darstellungen. Sie erzählen von einer Welt,
die unterirdisch ist, die jedoch mit furchtbarer
Exaktheit erlebt und nachgezeichnet wurde, so,
daß sie wie eine Niederschrift des Unerklärlichen
wirken. Sie zeigen uns Dämonen, Halbwesen
und Zwischenreiche und deuten Erkenntnisse an,
die um der Tiefe ihrer Einsicht willen, nicht
mehr im Bereich des Kindlichen liegen und
in medialer Eingebung hingeschrieben zu sein

scheinen. ..Die bildende Kunst weist auf die
Welt der Wirkungen, während der Okkultismus
sich mit der Welt der Ursachen befaßt" sagt
Budolf Bernoulli einmal. Es ist dies ein Wort,
das Grenzen absteckt und wertvoll ist, da es als
erklärende Zusammenfassung gelten muß. Die
Kunst der jungen Jutta Kieser ist darum außer-
ordentlich, weil sie die Welt der Ursachen und
jene der Wirkungen in eine Einheit bindet und
Zusammenhänge aufdeckt oder darstellt, die wir
mitunter zu ahnen, nie aber wissend zu schauen
vermögen. In das Beich des Wunderbaren gehört
auch die Art der Entstehung ihrer Zeichnungen,
in zwanzig oder dreißig Minuten hingeworfen,
ohne Vorzeichnung oder Entwurf, in flüchtiger
Sicherheit und präzister Genauigkeit ausgeführt.
Daß es sich um Außerordentliches an Begabung
handelt, nicht um eine trügerische und vorüber-
gleitende Phase kindlicher Entwicklung, geht
aus der geradlinigen, fast bewußten Aufstiegs-
linie dieses jungen Talentes hervor, dessen wei-
tere Wege abzuwarten bleiben. e™ Kessler

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