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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 46.1930-1931

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Popp, Joseph: Das Kriegsehrenmal in Stralsund
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https://doi.org/10.11588/diglit.16478#0333

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ein gotischer Backsteinbau des 14. Jahrhunderts
mit fünf Kapellen nach dem Lübecker Schema.
Der Gesamteindruck im Innern und Äußeren ist
schlicht, kraftvoll und würdig. Wie der Blick in
die Situationsskizze zeigt, war es nicht leicht, in
diese steile, knappe Xischenform ein Gebilde ein-
zufügen, das sich wirksam behauptet und den
Raum in wahrhaft bedeutender Weise füllt.
Schwegerle hat die schwierige Aufgabe meister-
lich gelöst; ja man kann sich kaum eine bessere
Lösung im formalen und geistigen Sinne denken:
eine starke Stimmungsmacht liegt schon in der
gegenseitigen Beziehung von Raum und Plastik,
die einander klären und steigern. Die Figur er-
scheint ganz auf den Bedingungen ihrer Umge-
bung aufgebaut und ist dennoch so selbständig,
daß man den Eindruck hat, als ob ihr zuliebe
der Raum so gefügt worden wäre. Das ungemein
Ausgewogene des Ganzen beruht zunächst und
zumeist auf dem glücklich gegriffenen Maßstab
der Figur in Größe, Volumen und Form, wie in
ihrer guten proportionalen Gliederung und Be-
lebung der unteren Mauerpartie. Man muß sich
im Original den Sockel etwas niedriger denken ;

Die künftige Aufstellung des Kriegerdenkmals in
der Nikolaikirche in Stralsund. Nach Modell

dann -wird die Zone über dem Haupt des Herrn
breiter und verdeutlicht sich die W and als Hin-
tergrund und Steigerung der Gestalt. Diese selbst
hebt sich durch die dunkle Bronze voll ab und
füllt körperlich den Raum. Die Kreuzesform ver-
stärkt diese Wirkung, läßt aber der Figur wie
ihrer Umgebung genügend Spielraum. Dadurch
entsteht zugleich ein dynamischer Eindruck:
während die Rückwand durch das hohe Fenster
belichtet, erleichtert und beinahe emporgezogen
wird, was die schlanke, aufstrebende Gestalt des
Herrn verstärkt, ergibt sich durch seine ausge-
streckten Arme eine horizontale Verspannung,
eine in sich zur Ruhe gekommene Bewegung,
die mit der nach der Tiefe abgetreppten Baum-
form uns geheimnisvoll, magisch in ihren Bann-
kreis zieht. Die Bronzel afein betonen weiterhin
die seitliche Bindung mit dem Raum, wie die
Lichtträger ein auflösendes Höhenelement her-
einbringen. So herrscht im ganzen ein fein ab-
gewogenes, edles Gleichgewicht, eine leise
Schwebigkeit, ein belebendes Fluidum, verwandt
dem Geist und der Stimmung gotischer Raum-
struktur; gänzlich frei von archaistischer An-
passung — und das ist ein weiterer Vorzug
dieser Plastik.

Die Plastik selbst stammt nicht aus einer abstrak-
ten Idee, sondern aus einem durchaus bildneri-
schen Gedanken : aus der Kreuzform, verkörpert
durch Christus, der sie immer in sich trägt und
dadurch ein Sinnbild des Leidens und Opfers,
wie seiner sieghaften Überwindung ist. Damit
kommt die Erlösertätigkeit in Christus zum Aus-
druck, seine Mittlerkraft an die Menschheit. Die
Darstellungsweise veranschaulicht und vertieft
diesen Gedanken. In einem sanften Bogen wölbt
sich der Herr seinem höheren Schicksal und der
Welt entgegen; ein ergreifendes Sinnbild idealer
Hingabe an Himmel und Erde. Ganz und gar
sich selbst vergessende Bereitschaft liegt in dem
zurückgebeugten Haupt, dem reinen, hoheits-
vollen Antlitz und den geschlossenen Augen; zu
höchster christlicher Standhaftigkeit, in unent-
wegter Pflichterfüllung mahnend. Die Arme
sind Ausdruck der Hingabe wie der Weitergabe.
Die schalenhaften Hände sammeln den erwor-
benen Segen und geben ihn weiter: Kommet alle
zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich
will euch erquicken, trösten, beruhigen, beseli-
gen. Was aber konnte für ein kirchliches Ehren-
mal Kriegsgefallener und ihre Verbindung mit
den Uberlebenden würdiger und erhebender sein
als gerade dieser Gedanke und seine künstlerische
Verwirklichung? Die Gestalt hat. obwohl stehend,
aus all den genannten Teil Wirkungen doch etwas
Schwebendes und damit eine starke innere und
äußere Spannung, einen überirdischen Charakter.
Die kannelürenhafte Behandlung des Gewandes

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