Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

DOI Artikel:
Fantin-Latour (gest.)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0054

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zunächst bei ihnen wahr. Auch scheint dem Psycho-
logen zu Liebe die Beleuchtung gewählt zu sein:
sie kommt dem Verlangen entgegen, dass nichts
im Unklaren gelassen werde. Nur leicht sind die
Schatten, durch die die Gesichter modelliert werden.
Der Darsteller scheint sich mit einem solchen Ver-
langen nach einem Eindringen in das Wesen seinem
Modell gegenübergestellt zu haben wie der photo-
graphische Apparat unbefangen ist, der in Werk-
stätten aufgestellt wird, die ein ähnliches Licht auf-
weisen wie dieses Maleratelier.

Fantin nimmt keinen Anlass, durch ein keller-
artiges Licht irgendwie plötzliche, irgendwie frap-
pierende Wirkungen hervorrufen zu wollen, er
beleuchtet seine Modelle wie man annehmen
würde, dass ein gelassener Mensch und ein Gentle-
man es thun würde und auf nichts scheint er be-
dacht zu sein als darauf, dass er objektiv sei, dass
er treu und wahr und ganz ohne Geste wiedergebe,
was er sieht. Den Maler in ihm entdeckt man
dennoch; er zeigt sich in dem silbrigen Lichte,
das alles umfängt; es löst selbst die Gestalten etwas
auf und zehrt an ihnen. Es ist eine etwas trans-
cendente Gesellschaft, die Fantin uns kennen lehrt;
nicht so stabil wie die Manetsche; mit dieser ver-
glichen etwas ephemer; nie aber so, dass die
Figuren zu Traumgestalten werden. Sie sind solide
durchmodelliert.

Eine besondere Fähigkeit entfaltet Fantin, so-
bald er stillumfriedete Existenzen darstellt, "Wesen,
die eine arbeitsame Lebensweise haben, Menschen,
die ihr Hüttchen im Thal und nicht auf dem Gipfel
gebaut haben, Malerinnen an der Staffelei in der
Arbeitsschürze, Frauen, die Handarbeit machen,
junge Mädchen, die die Augen auf ein geöffnetes
Buch senken, Künstler mittleren Ranges (der
Kupferstecher Edwards).

Das Darstellen von sympathischen Menschen
lag ihm besser als das Ausdrücken von genialen. Er
liebte das Darstellen von Menschen, die unter der
Einwirkung von Genien glücklich sind. Eben-
so wie er selber ein receptives Naturell war und
wie er sich an Kompositionen machte, die Wür-
digungen für Delacroix, Victor Hugo, Richard
Wagner zum Gegenstand hatten, so gab er auch
receptive Wesen am besten wieder. Sein Manet-
porträt, selbst das gute, in der Gruppe, ist doch
etwas vage, aber manches Bildnis, auf dem er ein
nachdenkendes junges Mädchen wiedergegeben
hat, ist äusserst präzis und inhaltreich, und bei der
Lektüre, die er ihr in die Hand gedrückt hat, hegt

man das Gefühl, Fantin würde den Autor des
Buches — falls es ein Buch ersten Ranges ist —
nicht so gut wiedergegeben haben, wie ihm
das Mädchen gelang, das unter des Autors Ein-
fluss liest.

Im letzten Grunde ist Fantin-Latour — bei
allem, was seine Arbeiten zu ausgezeichneten
stempeltunduns den Anlass giebt, ihn selbstverständ-
lich einen Künstler, selbst einen sehr grossen Künst-
ler zu heissen — in der Auslegung, die Herman
Grimm dem Worte giebt, vielleicht als ein Philister
zu bezeichnen: als ein Mann, der an dem Genie
von grossen anderen Individualitäten seine innigste
Freude findet — als ein Kunst-„publikum" im
allerhöchsten Sinne.

Fantin arbeitete in einem Hause, das in einem
Stadtviertel lag, in dem man meilenfern von dem
Paris der Fremden und der Boulevards war. Ein
Vierte], wie das „Marais", das uns Daudet be-
schreibt. Man konnte sich wundern, wenn das
Gras es unterlassen hatte, zwischen den Ritzen der
Pflastersteine emporzuwachsen. Es war ein Viertel,
in welchem man nicht so sehr Maler oder Bildhauer
— mochten sie auch von der Welt sich zurück-
gezogen haben — als gelehrte Einsiedler vermutete
oder ruhige Bücherwürmer, die in sonnigen Häusern,
von Gärten umgeben, ihr Leben in glücklichen Stu-
dien verbringen. In einem solchen Hause malte Fan-
tin-Latour seine Nymphen und Musen — die wir
heute noch bewundern, weil wir von der lauteren
Empfindung gerührt werden, die bei ihrem Ent-
stehen Gevatter stand —, seine prachtvollen Still-
leben — vornehm verteilte Blumen zumeist, auf
die er ein behutsames Licht fallen liess — und
seine feinen Porträts, die, obwohl sie sehr diskret
sind, doch auch so treu genannt werden müssen, das
sie Dokumente für eine gewisse Bürgerschicht ab-
geben werden. Er malte im Erdgeschoss des Hauses
— er und seine Frau. Zwischen ihren beiden
Ateliers stand eine Thür offen. Fantin warf der
im Nebenraum an einem Blumenstück malenden
Gattin von Zeit zu Zeit ein Wort zu, auf das sie
erwiderte. Alles sonst war still. Die Beiden waren
Jean Paulische oder Raabesche Gestalten. Wäre
nicht das Spezifische gewesen: das Glühen für
Delacroix und die Verkettung mit dem Klassicis-
mus Frankreichs durch Poussin und Prud'hon, so
hätte man Fantin, dem in seinen Mannesjahren auch
blondes Haar das träumerische breite Haupt um-
wallt hatte, für einen Deutschen halten können.

H.

42
 
Annotationen