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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Kristeller, Paul: Jacques Callot
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0449

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JACQUES CALLOT

VON

PAUL KRISTELLER

IT dem XVII. Jahrhundert
beginnt die französische
Kunst, die sich bis dahin als
gelehrige Schülerin, wenn
auch mit der ihr eigenen
Lebhaftigkeit, an der Hand
ihrer italienischen Meister
bewegt hatte, sich zu natio-
naler Selbständigkeit zu ent-
wickeln und auf die Suprematie, die sie im folgen-
den Jahrhundert in ganz Europa gewinnen sollte,
vorzubereiten. Nicht in bewusstem Gegensatze
gegen die alten Vorbilder vollzieht sich dieser
Umschwung, sondern allmählich, allein durch das
Erstarken des eigenen Kunstempfindens und durch
die selbstbewusstere Betonung des nationalen Ge-
schmackes. Selbst die bedeutendsten französischen
Künstler dieser Zeit verlassen nicht die Bahnen des
italienischen Klassizismus. Die Italiener werden
nicht mehr wie im XVI. Jahrhundert zur Ausführung
grosser Werke nach Frankreich berufen, aber fast
alle Franzosen gehen zum Studium der klassischen
Meister und der Antike nach Italien. Wie in der
Litteratur herrscht nun auch in der bildenden Kunst
das Vorbild der Antike mit fast unumschränkter
Autorität.

Ungleich leichter und schneller als die monu-

• * Ein Abschnitt aus der grundlegenden Geschichte der
Graphik, die soeben im Verlage dieser Zeitschrift erschienen
ist: „Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten".

mentale Kunst findet der beweglichere Bilddruck
den Weg zu volkstümlichen und originellen Dar-
stellungsformen. Allerdings sind es auch hier zu-
nächst nur einzelne kühne Neuerer, die voran-
schreiten. Die strenge Grabstichelkunst entwickelt
sich im engsten Anschlüsse an die flämische Technik
und in gehorsamer Gefolgschaft der tonangebenden
französischen Maler, und auch die Radierung, die
sich ihre technischen Vorbilder fast ausschliesslich
in Italien sucht, stellt sich zumeist noch in den
Dienst des akademischen Klassizismus.

Nur Ein Meister der Radierung befreit sich von
dem Zwange der Rhetorik und schafft in der selbst-
ständigen, kecken Schilderung charakteristischer
Gestalten und Vorgänge aus dem Leben ein neues
Stoffgebiet, das ihm eine individuellere Formen-
gebung und die freie Ausbildung einer dem Gegen-
stande entsprechenden Technik gestattet. Jacques
Callot ist der Schöpfer dieser echt französischen,
naiv-graziösen Kunst der Aktualität. Wenn auch
von Nationalität Lothringer, er ist in Nancy 159z
geboren und ebendort 1638 gestorben, und seiner
künstlerischen Ausbildung nach Italiener, ist Callot
doch immer und mit vollem Recht als französischer
Künstler und als einer der charakteristischsten
Schilderer gallischen Wesens angesehen worden.
Man darf aber wohl auf die Verwandtschaft seiner
Kunst mit der seiner burgundisch-niederländischen
Stammesvettern Bosch und Brueghel, die in ähn-
licher Weise, allerdings immer mit biblischer oder

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