CHRONIK
NACHRICHTEN, AUSSTELLUNGEN ETC.
Bei Keller und Reiner findet eine Kollektiv-Aus-
stellung Lesser Urys statt, die seine Produktion um die
Mitte der achtziger jähre und in einem weiten Sprunge
sein gegenwärtiges Schaffen beleuchtet.
Um die Mitte der achtziger Jahre erregten die Ar-
beiten von Henri de Braekeleer (geb. 1830 in Ant-
werpen, gest. 1888 daselbst) die Bewunderung der
studierenden Jugend auch in Deutschland. Es war ein
tiefes Kolorit auf diesen Bildern, die einfache Interieurs
mit Menschen darstellten, welche auf dunkelgelben
Stühlen sassen. An diese Bilder denkt man, wenn man
in der Keller und Reinerschen Ausstellung das Bild
Lesser Urys aus der Mitte der achtziger Jahre betrachtet,
auf dem ein Interieur vorgeführt ist. Nur sind nächst
dem Braekeleer-Einfluss, der möglicherweise auf Lesser
Ury gewirkt hat, andere Faktoren bestimmt für den
Künstler lebendig geworden: flandrische Maler, die in
hellem Ton schwelgten, haben auf ihn Einfluss ge-
nommen, so dass man in der genannten Interieurstudie
Urys mit dem Mobiliar Braekeleers ein nicht sowohl
tief-farbiges als graues Kolorit verknüpft sieht. Übrigens
fällt in dieser frühen Arbeit bereits die Schwäche Urys
auf: oft die Formen in geradezu dilettantischer Weise
zu gestalten. Man sieht das beispielsweise in dem Ge-
sicht des Kindes, das im Vordergrund im Reflexlicht
erscheint. Diese Wahrnehmung macht man nicht ohne
Interesse, denn man hatte unter dem Eindruck ge-
standen, dass der Dilettantismus in der Zeichnung der
Körperformen erst in den späteren Lebensjahren Urys
aufgetreten wäre. Bei dieser Interieurstudie vermählt
sich mit der Geschicklichkeit in der Technik und einem
entwickelten Gefühl für Licht und Schatten eine auf-
fällige Schwäche in der Auffassung der Form.
Ein zu Bedenken nicht anlassgebendes Bild aus der-
selben Epoche ist Urys Landschaft „aus Flandern", mit
schöner grauer Luftstimmung, feinem Mittelgrund und
einem Dorfmädchen, das eine Harke trägt. Dies Bild
ist ein Niederschlag der Vorliebe jener Zeit für grau-
silbrige Töne. Es ist eines der wenigen in dieser Ury-
Ausstellung, die uns durchweg gefallen, kein sehr selbst-
ständiges — man denkt an Bastien-Lepage — aber durch-
aus gutes Bild.
Geht man nun auf die Wiedergabe des lebensgrossen
Kopfes eines Mädchens, von hinten gesehen, ein, das
sich an einen Stuhl lehnt, so begegnet man einer
21!
NACHRICHTEN, AUSSTELLUNGEN ETC.
Bei Keller und Reiner findet eine Kollektiv-Aus-
stellung Lesser Urys statt, die seine Produktion um die
Mitte der achtziger jähre und in einem weiten Sprunge
sein gegenwärtiges Schaffen beleuchtet.
Um die Mitte der achtziger Jahre erregten die Ar-
beiten von Henri de Braekeleer (geb. 1830 in Ant-
werpen, gest. 1888 daselbst) die Bewunderung der
studierenden Jugend auch in Deutschland. Es war ein
tiefes Kolorit auf diesen Bildern, die einfache Interieurs
mit Menschen darstellten, welche auf dunkelgelben
Stühlen sassen. An diese Bilder denkt man, wenn man
in der Keller und Reinerschen Ausstellung das Bild
Lesser Urys aus der Mitte der achtziger Jahre betrachtet,
auf dem ein Interieur vorgeführt ist. Nur sind nächst
dem Braekeleer-Einfluss, der möglicherweise auf Lesser
Ury gewirkt hat, andere Faktoren bestimmt für den
Künstler lebendig geworden: flandrische Maler, die in
hellem Ton schwelgten, haben auf ihn Einfluss ge-
nommen, so dass man in der genannten Interieurstudie
Urys mit dem Mobiliar Braekeleers ein nicht sowohl
tief-farbiges als graues Kolorit verknüpft sieht. Übrigens
fällt in dieser frühen Arbeit bereits die Schwäche Urys
auf: oft die Formen in geradezu dilettantischer Weise
zu gestalten. Man sieht das beispielsweise in dem Ge-
sicht des Kindes, das im Vordergrund im Reflexlicht
erscheint. Diese Wahrnehmung macht man nicht ohne
Interesse, denn man hatte unter dem Eindruck ge-
standen, dass der Dilettantismus in der Zeichnung der
Körperformen erst in den späteren Lebensjahren Urys
aufgetreten wäre. Bei dieser Interieurstudie vermählt
sich mit der Geschicklichkeit in der Technik und einem
entwickelten Gefühl für Licht und Schatten eine auf-
fällige Schwäche in der Auffassung der Form.
Ein zu Bedenken nicht anlassgebendes Bild aus der-
selben Epoche ist Urys Landschaft „aus Flandern", mit
schöner grauer Luftstimmung, feinem Mittelgrund und
einem Dorfmädchen, das eine Harke trägt. Dies Bild
ist ein Niederschlag der Vorliebe jener Zeit für grau-
silbrige Töne. Es ist eines der wenigen in dieser Ury-
Ausstellung, die uns durchweg gefallen, kein sehr selbst-
ständiges — man denkt an Bastien-Lepage — aber durch-
aus gutes Bild.
Geht man nun auf die Wiedergabe des lebensgrossen
Kopfes eines Mädchens, von hinten gesehen, ein, das
sich an einen Stuhl lehnt, so begegnet man einer
21!