AUS DER CORRESPONDENZ
VINCENT VAN GOGHS
CH glaube immer noch, dass man
in den Ateliers so gut wie nichts
von Malerei und auch nichts vom
Leben lernt und dass man sich
darauf einrichten muss, leben
und malen zu lernen ohne zu
den alten Mätzchen und Witzen
seine Zuflucht zu nehmen.
Wenn man mit einem Maler auf gespanntem
Fusse steht und darum sagt: Wenn so ein Kerl mit
mir zusammen ausgestellt werden soll, so ziehe ich
meine Bilder zurück, — und ihn dann schlecht
macht, so scheint mir das nicht so gehandelt wie
sichs gehört, denn bevor man so kategorisch urteilt,
sollte man doch genau hinsehen und nachdenken.
Bei einiger Ueberlegung fände man wohl — gerade
wenn es sich um einen Feind handelt — an seinen
eigenen Arbeiten nicht weniger auszusetzen, als an
denen des Anderen? der hat ja ganz eben so viel
Daseinsberechtigung wie wir. Wenn man bedenkt,
dass der oder jener — mögen sie Pointillisten sein
oder eine andere Richtung haben — auch manchmal
etwas Gutes leistet, so müsste man, statt sie herunter
zu reissen, gerade wenn es sich um einen Feind
handelt, mit Achtung und Sympathie von ihnen
sprechen. Sonst wird man zu engherzig und ist nicht
besser als jene, die keinen anderen gelten lassen
und sich für die einzig Auserwählten halten. Das
(FORTSETZUNG)
muss man selbst auf die Akademiker ausdehnen,
denn nimmt man z. B. ein Bild von Fantin-Latour
oder gar sein ganzes Lebenswerk! Der ist ja aller-
dings kein Neuerer und hat doch etwas Ruhiges
und Sicheres, das ihn in die Reihe der unabhängig-
sten Charaktere stellt.
Mein lieber Bernard! Da ich versprochen hatte
Dir zu schreiben, will ich gleich damit anfangen Dir
zu sagen, dass das Land hier mir eben so schön wie
Japan zu sein scheint durch die Klarheit der Luft
und seine heiteren FarbenefFekte. Das Wasser steht
in der Landschaft als Fleck von schönstem Smaragd
oder reichem Blau, von der Farbe, wie wir sie aus
Kreppstoffen kennen. Blasse Sonnenuntergänge lassen
den Erdboden blau erscheinen. Prachtvoll gelbe
Sonne! Und ich habe noch nicht einmal das Land
in seiner gewöhnlichen Sommerherrlichkeit gesehen.
Die Tracht der Frauen ist hübsch und Sonntags be-
sonders sieht man auf dem Boulevard sehr naive
und überraschende Farbenzusammenstellungen. Und
zweifellos wird das im Sommer auch noch lustiger.
Ich bedaure nur, dass das Leben hier nicht so drollig
ist wie ich es gehofft hatte und bis jetzt ist es mir
noch nicht gelungen, es mir so billig herzustellen,
wie man es in Pont-Aven kann. Anfänglich habe ich
fünf Francs bezahlt und jetzt bin ich bei vier Francs
täglich. Man müsste den hiesigen Dialekt sprechen
und man müsste Bouillabaisse und Aioli essen können,
i<So
VINCENT VAN GOGHS
CH glaube immer noch, dass man
in den Ateliers so gut wie nichts
von Malerei und auch nichts vom
Leben lernt und dass man sich
darauf einrichten muss, leben
und malen zu lernen ohne zu
den alten Mätzchen und Witzen
seine Zuflucht zu nehmen.
Wenn man mit einem Maler auf gespanntem
Fusse steht und darum sagt: Wenn so ein Kerl mit
mir zusammen ausgestellt werden soll, so ziehe ich
meine Bilder zurück, — und ihn dann schlecht
macht, so scheint mir das nicht so gehandelt wie
sichs gehört, denn bevor man so kategorisch urteilt,
sollte man doch genau hinsehen und nachdenken.
Bei einiger Ueberlegung fände man wohl — gerade
wenn es sich um einen Feind handelt — an seinen
eigenen Arbeiten nicht weniger auszusetzen, als an
denen des Anderen? der hat ja ganz eben so viel
Daseinsberechtigung wie wir. Wenn man bedenkt,
dass der oder jener — mögen sie Pointillisten sein
oder eine andere Richtung haben — auch manchmal
etwas Gutes leistet, so müsste man, statt sie herunter
zu reissen, gerade wenn es sich um einen Feind
handelt, mit Achtung und Sympathie von ihnen
sprechen. Sonst wird man zu engherzig und ist nicht
besser als jene, die keinen anderen gelten lassen
und sich für die einzig Auserwählten halten. Das
(FORTSETZUNG)
muss man selbst auf die Akademiker ausdehnen,
denn nimmt man z. B. ein Bild von Fantin-Latour
oder gar sein ganzes Lebenswerk! Der ist ja aller-
dings kein Neuerer und hat doch etwas Ruhiges
und Sicheres, das ihn in die Reihe der unabhängig-
sten Charaktere stellt.
Mein lieber Bernard! Da ich versprochen hatte
Dir zu schreiben, will ich gleich damit anfangen Dir
zu sagen, dass das Land hier mir eben so schön wie
Japan zu sein scheint durch die Klarheit der Luft
und seine heiteren FarbenefFekte. Das Wasser steht
in der Landschaft als Fleck von schönstem Smaragd
oder reichem Blau, von der Farbe, wie wir sie aus
Kreppstoffen kennen. Blasse Sonnenuntergänge lassen
den Erdboden blau erscheinen. Prachtvoll gelbe
Sonne! Und ich habe noch nicht einmal das Land
in seiner gewöhnlichen Sommerherrlichkeit gesehen.
Die Tracht der Frauen ist hübsch und Sonntags be-
sonders sieht man auf dem Boulevard sehr naive
und überraschende Farbenzusammenstellungen. Und
zweifellos wird das im Sommer auch noch lustiger.
Ich bedaure nur, dass das Leben hier nicht so drollig
ist wie ich es gehofft hatte und bis jetzt ist es mir
noch nicht gelungen, es mir so billig herzustellen,
wie man es in Pont-Aven kann. Anfänglich habe ich
fünf Francs bezahlt und jetzt bin ich bei vier Francs
täglich. Man müsste den hiesigen Dialekt sprechen
und man müsste Bouillabaisse und Aioli essen können,
i<So