AUS DER CORRESPONDENZ
VINCENT VAN GOGHS
An Emile Bernard.
Eine technische Frage — sage mir doch mal
Deine Ansicht. — Schwarz und Weiss, sowie wir
sie im Laden bekommen, will ich kühn auf die
Palette setzen und sie benutzen wie sie sind. Wenn
ich (du musst aber daran denken, dass ich von der
japanischen Vereinfachung der Farbe spreche) in
einem grünen Park mit rosigen Wegen einen Herrn
sehe, ganz schwarz angezogen, nimm mal an einen
Friedensrichter, der den Intransigeant liest, über
ihm der Himmel in reinstem Kobalt, warum in aller
Welt sollte ich nicht besagten Friedensrichter in
einfachem Schwarz und den Intransigeant in ein-
fachem, rohen Weiss malen? — denn der Japaner
abstrahiert von den Reflexen und setzt flache Töne
einen nebenden anderen — charakteristische Striche,
die naiv Bewegungen oder Formen festhalten. —
In einer anderen Gedankenreihenfolge: Bei einem
Farbenmotiv, das z. B. einen gelben Abendhimmel
darstellt, könnte man zur Not eine grellweisse Mauer,
gegen den Himmel gesetzt, mit einem krassen Weiss
oder mit demselben Weiss, durch einen neutralen
Ton gedämpft, malen, denn der Himmel giebt ihr
eine leise lila Tönung. — In dieser so naiven Land-
schaft, die eine ganz geweisste Hütte darstellen soll
(sogar das Dach ist geweisst), auf ein orangefarbenes
Terrain gestellt (denn der südliche Himmel und
das Mittelmeer rufen ein intensives Orange hervor,
da die blauen Töne sehr kräftig sind), giebt die
schwarze Note der Thür, der Fenster und des
kleinen Kreuzes auf dem Dach einen Kontrast
(FORTSETZUNG)
von Schwarz und Weiss, der dem Auge ebenso wohl
tut wie der Gegensatz von Orange und Blau. —
Nach derselben Theorie hier noch ein amüsan-
teres Motiv: Eine Frau in einem weiss und schwarz
karrierten Kleid in derselben einfachen Landschaft,
blauer Himmel, orange Erdboden. Es genügt voll-
kommen, dass das Schwarz und das Weiss Farben
sind (wenigstens können sie in vielen Fällen als
solche angesehen werden), denn ihr Kontrast
ist ebenso pikant, wie z. B. Grau und Rot. Die
Japaner bedienen sich übrigens derselben Töne, sie
drücken fabelhaft schön den matten blassen Teint
eines jungen Mädchens und den pikanten Kontrast
des schwarzen Haares aus durch vier Federstriche
auf weissem Papier; ebenso bei ihren schwarzen
Dornbüschen, die sie mit unzähligen weissen Blu-
men besäen.
Endlich habe ich das mittelländische Meer ge-
sehen und habe eine Woche in Saintes-Maries zuge-
bracht. Um dorthin zu gelangen, bin ich mit der
Post durch die Camargue gefahren, durch Wein-
berge, Wiesen und flaches Gelände wie in Holland.
In Saintes-Maries sah ich Mädchen, die einen an
Cimabue und Giotto denken Hessen — gerade,
dünn, ein wenig traurig und mystisch. Am Strande,
der ganz flach und sandig ist, kleine grüne, rote,
blaue Schiffe, in Form und Farbe so reizend, dass
man dabei an Blumen denkt. Ein Mann .allein
führt sie, diese Barken gehen aber nicht auf hoher
See; sie fahren nur bei schwachem Wind ab und
kommen zurück, sowie er zu stark wird.
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VINCENT VAN GOGHS
An Emile Bernard.
Eine technische Frage — sage mir doch mal
Deine Ansicht. — Schwarz und Weiss, sowie wir
sie im Laden bekommen, will ich kühn auf die
Palette setzen und sie benutzen wie sie sind. Wenn
ich (du musst aber daran denken, dass ich von der
japanischen Vereinfachung der Farbe spreche) in
einem grünen Park mit rosigen Wegen einen Herrn
sehe, ganz schwarz angezogen, nimm mal an einen
Friedensrichter, der den Intransigeant liest, über
ihm der Himmel in reinstem Kobalt, warum in aller
Welt sollte ich nicht besagten Friedensrichter in
einfachem Schwarz und den Intransigeant in ein-
fachem, rohen Weiss malen? — denn der Japaner
abstrahiert von den Reflexen und setzt flache Töne
einen nebenden anderen — charakteristische Striche,
die naiv Bewegungen oder Formen festhalten. —
In einer anderen Gedankenreihenfolge: Bei einem
Farbenmotiv, das z. B. einen gelben Abendhimmel
darstellt, könnte man zur Not eine grellweisse Mauer,
gegen den Himmel gesetzt, mit einem krassen Weiss
oder mit demselben Weiss, durch einen neutralen
Ton gedämpft, malen, denn der Himmel giebt ihr
eine leise lila Tönung. — In dieser so naiven Land-
schaft, die eine ganz geweisste Hütte darstellen soll
(sogar das Dach ist geweisst), auf ein orangefarbenes
Terrain gestellt (denn der südliche Himmel und
das Mittelmeer rufen ein intensives Orange hervor,
da die blauen Töne sehr kräftig sind), giebt die
schwarze Note der Thür, der Fenster und des
kleinen Kreuzes auf dem Dach einen Kontrast
(FORTSETZUNG)
von Schwarz und Weiss, der dem Auge ebenso wohl
tut wie der Gegensatz von Orange und Blau. —
Nach derselben Theorie hier noch ein amüsan-
teres Motiv: Eine Frau in einem weiss und schwarz
karrierten Kleid in derselben einfachen Landschaft,
blauer Himmel, orange Erdboden. Es genügt voll-
kommen, dass das Schwarz und das Weiss Farben
sind (wenigstens können sie in vielen Fällen als
solche angesehen werden), denn ihr Kontrast
ist ebenso pikant, wie z. B. Grau und Rot. Die
Japaner bedienen sich übrigens derselben Töne, sie
drücken fabelhaft schön den matten blassen Teint
eines jungen Mädchens und den pikanten Kontrast
des schwarzen Haares aus durch vier Federstriche
auf weissem Papier; ebenso bei ihren schwarzen
Dornbüschen, die sie mit unzähligen weissen Blu-
men besäen.
Endlich habe ich das mittelländische Meer ge-
sehen und habe eine Woche in Saintes-Maries zuge-
bracht. Um dorthin zu gelangen, bin ich mit der
Post durch die Camargue gefahren, durch Wein-
berge, Wiesen und flaches Gelände wie in Holland.
In Saintes-Maries sah ich Mädchen, die einen an
Cimabue und Giotto denken Hessen — gerade,
dünn, ein wenig traurig und mystisch. Am Strande,
der ganz flach und sandig ist, kleine grüne, rote,
blaue Schiffe, in Form und Farbe so reizend, dass
man dabei an Blumen denkt. Ein Mann .allein
führt sie, diese Barken gehen aber nicht auf hoher
See; sie fahren nur bei schwachem Wind ab und
kommen zurück, sowie er zu stark wird.
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