Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

DOI article:
Chronik
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0143

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
CHRONIK

NACHRICHTEN, AUSSTELLUNGEN ETC.

Klingers „Drama", das jetzt an derselben Stelle aus-
gestellt ist wie der „Beethoven" — bei Keller und Reiner,
im ausgeräumten Saal (entzückend sieht der Saal ohne
Bilder aus) — Klingers Drama erweckt in Berlin nicht ent-
fernt die Begeisterung, die der Beethoven erzeugte.
Woher kommt das? Es liegt am Stoff. Dort sah man
den Musiker, dessen Werke uns vertraut waren — hier
erblickt man ein vertracktes „Drama", dessen Ideen-
gang man nicht begreift, in dessen Zusammenhang ein-
zudringen als ein mühseliges und unbequemes Unter-
nehmen empfunden wird. Man merkt aber selbst in der
Missbilligung, mit der die grosse Menge diese nicht
leicht zu umfassende Gruppe betrachtet, die Achtung,
die das Werk in der Menge erzeugt — und während
ein Werk von Manet oder Monet, das nicht gebilligt
würde, verachtet wird, sieht die Menge den Klinger-
schen Marmorblock, auch ohne ihn irgendwie liebzu-
gewinnen, mit ungeheurem Respekt an, und die Be-
merkungen, die einen Tadel ausdrücken, werden mit
flüsternder Stimme kundgegeben. Diese Achtung hängt
nach meiner Meinung mit dem Einfluss zusammen,

den auf das Urteil der Menge die folgende Erwägung
ausübt: das Werk von Manet (oder Monet) ist eine
freche Skizze und es ist gleich einer Ohrfeige für uns,
den Künstler so „nachlässig" zu finden. Klingers Werk
ruft hingegen entgegengesetzte Gedanken hervor: der
Künstler hat eine fabelhafte Zeit an das Werk ge-
wendet, es ist kolossal „ausgeführt", ein riesenhafter
Fleiss hat Pathe bei dem Werk gestanden — achten
wir den Künstler, der hier genau die Natur, wie wir sie
sehen, nachbildete, in den Zehen, in den Armen, den
Muskeln, dem Fleisch ... So urteilt die Menge, auch
wenn sie sich mit dem Habitus im Ganzen, mit der ge-
wundenen Komposition der Gruppe und ihrer unüber-
sichtlichen Bildung durchaus nicht befreunden kann.

Ich liebe an diesem Werk weder die Figur des Ath-
leten (der einen Ast von einem Baum abzureissen im
Begriff ist, um sich gegen einen unsichtbar bleibenden
Gegner zu verteidigen) noch die Figur seiner Genossin,
die in der Art einer an einem Reck arbeitenden Trapez-
künstlerin sichtbar wird — zu Füssen des Athleten hin-
gestreckt und vom Feinde verwundet. Beide Figuren
haben für mich — mit Ausnahme der Köpfe — das

130
 
Annotationen