BÜCHERBESPRECHUNGEN
Das Wesen der Kunst von Konrad Lange.
Berlin, G. Grore.
Will man den wenig fruchtbaren und stets ver-
gröbernden Versuch machen, alle die verschiedenen
ungezählten Eindrücke aus der Kunst unter einen oder
wenige Gesichtspunkte zusammenzubringen, so sehe ich
zwei grosse Richtungen des Kunstgeniessens und Be-
urteilens. Dem Künstler als dem produktiven Menschen,
dem Schöpfer gegenüber, ist das Aufnehmen des Kunst-
werkes im Geniessenden ein NachschafFen und ein
Nacherleben. Nacherleben, insofern wir annehmen, dass
auch beim Künstler ein starker Eindruck, ein Erlebnis
— sei es Phantasie- oder Naturbild — vorausging. Nach-
schafFen — insofern wir das Entstehen des Kunstwerkes
aus einem heterogenen Material als gelungene oder
misslungene Arbeit nachrechnen können. Beide For-
men des KunstaufnehmeHs können relativ von einander
unabhängig sein. Eine ergreifende Szene kann aus un-
beholfener Darstellung mehr ergreifen als aus vollen-
deter, bei der dieBewunderung der technischen Bravour-
leistung über die Gefühlswirkung hinausführt. Ein
gleichgültiger Inhalt kann vorzüglich dargestellt sein.
Für die Malerei, soweit sie Bildkunst ist, d. h. auf
zweidimensionaler Fläche durch Farbenflecken Bilder
schafft, die wir in der Natur greifbar wieder rinden zu
können glauben, ist ein Ziel der Arbeit, der technischen
Leistung, das Bild dem Natureindruck möglichst nahe
zu bringen. Dies Bemühen fällt um so stärker ins Ge-
wicht, je unentwickelter die Technik ist und der Abstand
zwischen Wollen und Können sich fühlbar macht. Da-
rum ist es für die Kunstgeschichte, für die Entwickelung
der bildenden Kunst ein fruchtbarer Gesichtspunkt, wie
aus unbeholfenen Anfängen, aus Andeutungen sich das
Gemälde zum vollen Wirklichkeitseindruck, aus dem
Zweidimensionalen zum Dreidimensionalen, aus der
Fläche zum Raum herausarbeitete. Dieser Gesichtspunkt
ist unabhängig von dem Inhalt des Kunstwerkes, er
geht nur auf das Verhältnis des Effekts zum Können.
Die tastende Zeichnung eines Kindes, aus der man einen
Kopf oder ein Tier herauslesen kann, wird bewundert,
die korrekt gemalte Landschaft eines Berufsmalers viel-
leicht garnicht beachtet, weil dort die Leistung im Ver-
hältnis zum Können des Kindes eine ausserordentliche ist,
hier dagegen, beim Berufsmaler, die richtige Zeichnung
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Das Wesen der Kunst von Konrad Lange.
Berlin, G. Grore.
Will man den wenig fruchtbaren und stets ver-
gröbernden Versuch machen, alle die verschiedenen
ungezählten Eindrücke aus der Kunst unter einen oder
wenige Gesichtspunkte zusammenzubringen, so sehe ich
zwei grosse Richtungen des Kunstgeniessens und Be-
urteilens. Dem Künstler als dem produktiven Menschen,
dem Schöpfer gegenüber, ist das Aufnehmen des Kunst-
werkes im Geniessenden ein NachschafFen und ein
Nacherleben. Nacherleben, insofern wir annehmen, dass
auch beim Künstler ein starker Eindruck, ein Erlebnis
— sei es Phantasie- oder Naturbild — vorausging. Nach-
schafFen — insofern wir das Entstehen des Kunstwerkes
aus einem heterogenen Material als gelungene oder
misslungene Arbeit nachrechnen können. Beide For-
men des KunstaufnehmeHs können relativ von einander
unabhängig sein. Eine ergreifende Szene kann aus un-
beholfener Darstellung mehr ergreifen als aus vollen-
deter, bei der dieBewunderung der technischen Bravour-
leistung über die Gefühlswirkung hinausführt. Ein
gleichgültiger Inhalt kann vorzüglich dargestellt sein.
Für die Malerei, soweit sie Bildkunst ist, d. h. auf
zweidimensionaler Fläche durch Farbenflecken Bilder
schafft, die wir in der Natur greifbar wieder rinden zu
können glauben, ist ein Ziel der Arbeit, der technischen
Leistung, das Bild dem Natureindruck möglichst nahe
zu bringen. Dies Bemühen fällt um so stärker ins Ge-
wicht, je unentwickelter die Technik ist und der Abstand
zwischen Wollen und Können sich fühlbar macht. Da-
rum ist es für die Kunstgeschichte, für die Entwickelung
der bildenden Kunst ein fruchtbarer Gesichtspunkt, wie
aus unbeholfenen Anfängen, aus Andeutungen sich das
Gemälde zum vollen Wirklichkeitseindruck, aus dem
Zweidimensionalen zum Dreidimensionalen, aus der
Fläche zum Raum herausarbeitete. Dieser Gesichtspunkt
ist unabhängig von dem Inhalt des Kunstwerkes, er
geht nur auf das Verhältnis des Effekts zum Können.
Die tastende Zeichnung eines Kindes, aus der man einen
Kopf oder ein Tier herauslesen kann, wird bewundert,
die korrekt gemalte Landschaft eines Berufsmalers viel-
leicht garnicht beachtet, weil dort die Leistung im Ver-
hältnis zum Können des Kindes eine ausserordentliche ist,
hier dagegen, beim Berufsmaler, die richtige Zeichnung
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