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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Servaes, Franz: Ferdinand Hodler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0060

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FERDINAND HODLEK, DIE ENTTÄUSCHTEN

fach sind, das Gegenteil eines Archaisten. Von der
alten Kunst hat er die Gesinnung, das Gefühl für
Würde und Grösse und zweifellos auch manch kost-
baren technischen und kompositionellen Einblick.
Von der Natur aber hat er die stetig nachströmende
Kraft, die immer wahre Frische, das still-beruhigte
Selbstvertrauen. Nur ein Kulturloser oder ein
Schwächling hat Furcht vor der künstlerischen
Vergangenheit. Der Starke, der Kulturbewusste
aber weiss, dass ihm die Vergangenheit vom Reich-
tum der Gegenwart und von der Unmittelbarkeit
eigenen Schauens nimmer etwas rauben wird, dass
sie ihm jedoch erst die ganze Fülle der Zukunft
erschliesst und verbürgt.

Hodlers kompositionelles Prinzip, der „Paralle-
lismus", macht nicht seine geschichtliche Bedeutung
aus. Dieser war vor ihm schon da; von der alten
Kunst ganz zu schweigen, bei Puvis so gut wie bei
Marees; er ist auch in Klingers grossen Kompo-
sitionen nachweisbar und hat in der Plastik und
im Kunstgewerbe sich Geltung verschafft. Eher
schon haben die Charakterstärke und die Bewusst-
heit, womit Hodler jenes Prinzip festhält und
konsequent weiter ausbaut, Anspruch auf historische
Bedeutsamkeit. Aber der Kernpunkt seines Wertes
wird doch darin gesucht werden müssen, dass in
ihm jene zwei Strömungen zusammenfliessen und
sich miteinander organisch verbinden, die vor ihm
zumeist als unvereinbare Gegensätze empfunden
wurden. Marees ist daran zu Grunde gegangen,

dass er seine kühne und heldenhafte Suche nach
dem Stil im bewussten Gegensatz zum Impressionis-
mus unternahm und darum gar zu einseitig als
Linienproblem auffasste. So blieb er mit der Farbe
völlig im Alten, ja ging noch hinter die Errungen-
schaften seiner Zeit um ein beträchtliches zurück.
Puvis war zu sehr älterer Zeitgenosse der grossen
neuen Reformatoren, als dass er deren bahn-
brechende Prinzipien, die er mild als möglich er-
wog, nach ihrer vollen Bedeutung hätte in sich
aufnehmen und eigenkräftig verarbeiten können.
Auch bei unserem Klinger spüren wir immerhin
ein Manko. Wohl hat er sich mit den Problemen
der Impressionisten beschäftigt und ist ihnen mit
jenem unerschrockenen Arbeitseifer nachgegangen,
der ihn auszeichnet (L'heure bleue). Aber er ist
nicht fertig damit geworden; er hat es nicht ver-
mocht, sie für seine Zwecke zu adaptieren; sie
wurden ihm nicht eine natürliche und selbstver-
ständliche Sprache. Als er an seine Kolossalgemälde
schritt, warf er, um des „Stiles" sicher zu sein,
den „Impressionismus" über Bord und konstruierte
sich ein Licht, das es nie und nirgends hat gegeben.
Das Umgekehrte ist bei Segantini der Fall. Dieser
grosse Künstler war im Licht völlig sicher und
hatte auch ein eminentes Empfinden für die stil-
volle Aufteilung der Fläche. Aber er blieb im
Figürlichen noch zu abhängig, sei es von Millet
(was weniger empfindlich ist), oder, was uns mit-
unter fatal berührt, von Watts. Jedenfalls ist er
 
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