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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Aus der Correspondenz Vincent van Goghs, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0098

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AUS DER CORRESPONDENZ
VINCENT VAN GOGHS

Antwerpen 86.

Farbe sagt etwas durch sich, selbst, das darf man
nicht übersehen, das muss man ausnutzen. Was schön
wirkt, wirklich schön, ist auch richtig. — Als
Veronese die Porträts seines „beau monde" in der
Hochzeit von Cana gemalt hat, da hat er den ganzen
Reichtum seiner Palette in dunkel violetten, prächtig
goldigen Tönen dazu verwendet, und dann noch ein
dünnes Azurblau und perlartiges Weiss, — das nicht
in den Vordergrund tritt, — dazu genommen. Er
wirft es dahinter und es ist gut in der Umgebung
der Marmorpaläste und des Himmels, die eigenartig
das Figürliche komplettieren, es verändert sich ganz
von selbst. So herrlich ist der Grund, dass er von
selbst, „spontanement" aus einer Farbenberechnung
entstanden ist.

Habe ich unrecht? Ist das nicht anders gemalt,
als jemand es machen würde, der sich den Palast
und das Figürliche zu gleicher Zeit als Ganzes ge-
dacht hat?

Die ganze Architektur und der Himmel sind
conventionell und dem Figürlichen untergeordnet,
dazu bestimmt, die Figuren schön herauszubringen.

Das ist wahrhaftig malen und kommt schöner
heraus als das genaue Wiedergeben der Dinge selbst.
An ein Ding denken, die Umgebung dabei beachten
und aus ihr heraus entstehen lassen!

Das Studium nach der Natur, das Ringen mit
der Wirklichkeit will ich nicht fortdisputieren;
Jahrelang habe ich selbst es mit beinah fruchtlosen,
allerlei traurigen Resultaten auf diese Weise ange-
fangen. Ich möchte aber dochdenFehler nichtmissen.

Dass das Fortfahren in dieser Manier Narren-
arbeit wäre und dumm sein würde, davon bin ich
überzeugt — aber nicht davon, dass alle meine Mühe
absolut verloren gehen wird.

„On commence par tuer, on finit par guerir"
ist ein Spruch der Aerzte. Man fängt damit an,
sich fruchtlos abzuquälen, der Natur zu folgen,
man endet damit, still aus seiner Palette zu
schöpfen, und die Natur folgt daraus. Aber diese
beiden Gegenüberstellungen können einander gegen-
über nicht bestehen. Emsiges Studieren, und sei
es scheinbar auch vergebens — zeitigt eine Ver-
trautheit mit der Natur, eine tüchtige Kenntnis der
Dinge.

Diegrösste, gewaltigste Einbildungskraft hat zu
gleicher Zeit Dinge nach der Wirklichkeit hervor-
gerufen, vor denen man staunend verstummt.

.... Ich will ganz einfach mein Schlafzimmer
malen. Diesmal soll die Farbe alles machen, durch
ihre Vereinfachung den Dingen einen grösseren
Stil geben und dem Beschauer die absolute Ruhe
und den Schlaf suggerieren. Mit einem Wort —
der Anblick des Bildes soll den Geist oder vielmehr
die Phantasie ausruhen. Die Wände sind blassviolett,
der Fussboden hat rote Kacheln, das Holz des Bettes
und der Stühle ist buttergelb, Laken und Kopf-
kissen hellgelbgrün. Die Decke scharlachrot, das
Fenster grün, der Waschtisch orange, das Wasch-
becken blau, die Thüren lila. Das ist alles — sonst
steht nichts im Zimmer, die Fensterladen sind ge-
schlossen. Sogar das Vierschrötige der Möbel soll
den Eindruck der Ruhe verstärken. Der Rahmen
muss — da sonst kein Weiss im Bilde ist — weiss
sein. Diese Arbeit wird mich für die unfreiwillige
Ruhe, zu der ich verurteilt war, entschädigen. Ich
werde morgen noch den ganzen Tag daran arbeiten,
du siehst aber, wie einfach der Vorwurf ist. Schat-
ten und Schlagschatten sind unterdrückt, die Farbe
ist in stumpfen und ausgesprochenen Tönen ge-
geben wie buntgefärbter Krepp.

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