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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Liebermann, Max: Zwei Original-Holzschnitte von Manet
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0165

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weiten Tor las man in grossen schwarzen Buch-
staben „L e i ch e n f u h r w es en", und in dem offenen
Hof schienen verschiedene finster aufgetakelte Wagen
bereitzustehen. Auf einem Gedenkstein neben dem
Tor in die Mauer eingefügt, las ich die unterste
Zeile der Inschrift:

Auf Erden alles ist umbsunst.

Wir waren inzwischen an der anderen Seite
des Mauerberges angelangt, wo die Truppe sich
wieder verschmälerte, um die Stufen herabzugehen.
In der Tiefe hörte man das Grollen des Wassers.
Immer bänger wurde mir zu Mute. Giebt es an
und für sich schon Beklemmenderes als in eine
Schlucht hinabzusteigen, während dort unten stock-
düster das schwindelnd Unbekannte droht?

Der Narr machte keine Spässe mehr, und sein
lautschreiender Esel sträubte und stemmte sich und
war nicht fortzubringen. Ich musste mich an dem
eisernen Geländer festhalten. Schwarze Wolken
schlugen aus den ringsum schwerdampfenden Fabrik-
schornsteinen herunter, und ihr widerlicher Qualm
wollte mich fast betäuben. Als wir an der schmalen
Eisbrücke mit der steinernen Brustwehr angekommen
waren, prallte ich zurück. Nie hatte ich solch ein
fürchterliches Getöse von sich peitschenden Wassern
gehört.

Hier in der Tiefe ist es, dass man zwei der
schnellfliessenden Ströme des wasserreichen Augs-
burg quer übereinandergeleitet hat, und wunderlich
verwirrend wirkt es, wie dadurch das Ohr keine
lenkende Linie findet, um das Getöse zu verfolgen,
das chaotisch von allen Seiten zugleich aufzuschlagen
scheint. Während die Pferde sich nun auf der
schmalen darüberführenden Brücke drängend auf-
bäumten, sah ich plötzlich . . .

Wo hatte ich etwas derartiges schon einmal
erblickt? Stand ich wieder im Museum in Cranachs
Bild versunken, oder war sein Durchzug durch das
Rote Meer hier Wirklichkeit geworden? Aber
auf dem, von dem sonderbaren de Wyzewa so an-
geschwärmten Gemälde ging alles doch tumul-
tuarischer und doch wieder gemütlicher zu, als es
sich hier vor meinen fragenden Augen abspielte.
Denn dieses hier war entsetzenerregend, aber es
war zugleich seltsam geräuschlos. Eben noch hatte
ich das Klirren der Waffen, die Rufe der Kriegs-
knechte und das Gebrüll der Ungetüme, das
Stampfen der Hufe mit dem heiseren Sturz des
Wassers zusammentönen hören in einer orkanischen
Orchestration. Aber jetzt war all der Lärm wie
weggefegt, und ich vernahm die Stimme von Claus,

die prophetischen Tones aus dem Tewrdannckh
weissagte:

Khein annder trost vorhanden war,

Dann alle gar zu ertrinckhen

Und in dem mör zu ersinkhen . . .

Das Wasser aus dem nicht mehr brausenden
Strudel dort unten türmte sich plötzlich in weiten
weissen Wirbelwolken sacht empor, entlud sich in
dichten Schaumflocken auf den Zug und fegte im
Handumdrehen den bunten Haufen vor meinen
Augen weg.

Voll Entsetzen schlug ich die Hände vors Gesicht.
Als ich wieder aufblickte, lag die schmale steinerne
Eisbrücke selber in ihren nüchternen Linien un-
berührt vor mir.

Nirgends sah man die Spur einer Katastrophe.
Das immer stille Viertel stand in seiner aufgestellten
Baukastenartigkeit aufrecht, so ruhig wie an anderen
Abenden, und in der Tiefe hörte man das Wasser
strömen wie gewöhnlich.

Ich sah mich um, wer wohl noch bei mir sein
möchte. Der sinnende Joachim, der einsam seinen
eignen Weg über den Mauerberg 'gegangen war,
stand rechts neben mir, ins Leere starrend mit
seinem rätselhaften Auge:

lt?:'


 
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