Ordnungen, über Zahl und Masse der Säulen. Jeder
Gebildete meint dergleichen an den Kinderschuhen
abgetreten zu haben. Reden wir nicht davon. Wir
hatten ein leeres Schema überkommen. Aber in
jeder Kunst ist das Beste und Feinste ein letztes
Wort, das in keinem Lehrbuch steht. Die letzte
Schönheit dieser Bauformen ist wie mir scheint un-
messbar, unberechenbar und unnachahmlich. Sie
handelt von Dingen, die man nicht mehr sieht,
sondern nur fühlt. Wie gross und wie geschlossen
zugleich erhebt sich diese leere Säulenreihe auf den
wenigen Stufen. Nach langer Betrachtung ahnen
wir eine leise Neigung der Säulen nach innen, eine
Anschwellung der Tempelstufen in ihrer Mitte.
Aber in welche Formel sollen wir Ursache und
Wirkung bannen! Da liegt eines der Parthenon-
kapitelle am Boden und scharf hebt sich sein Um-
riss im klarenMondlicht vom schwarzblauen Schatten
ab. Wieder ein letztes Wort! Was wussten wir
bisher vom dorischen Kapitell! Wie straff schwillt
dieser Echinus gegen die Plinthe an! Die Kurve
ist so fein, dass man sie mit der graden Linie ver-
wechselt. Man muss den Umriss fühlen und un-
willkürlich kommt die Hand dem suchenden Auge
zu Hilfe. Oder lasst uns die Schwellung dieses
schlanken Säulenleibes betrachten. Wir sahen sie
oft daheim in grotesker Uebertreibung. Hier ist
sie so zart, dass man sie leugnen könnte. Nur ihre
Wirkung ist geblieben. — Und wieder wandere
ich zurück von Bau zu Bau und suche solche un-
scheinbaren Dinge, die Glieder, die bescheiden dem
Organismus des Ganzen dienen, und in denen doch
alle Grösse hellenischer Kunst verborgen liegt. Die
wenigen Reste, die uns aus der Fülle der griechi-
schen Bildnerei geblieben sind, machen uns in Ehr-
furcht erschauern. Aber selbst wenn sie uns fehlten,
so würde eine einzige Säulenbasis vom Erech-
theion den Ruhm des Volkes verkünden, dem ihr
namenloser Schöpfer angehörte. Um den Boden
zu bereiten, auf dem dieser Stein in seinen leicht
und streng geschwungenen Umrissen geformt wurde,
musste alles da sein, die höchste Verfeinerung des
Gefühls, Schöpferkraft, strenge Selbstkritik und
der Glaube an Götter, die dieses Haus bewohnten als
die adligsten Vorbilder und Urbilder der Menschen.
Man sagte uns, dass die Kunst der Griechen
heiter sei und unsre Dichter, die ihr genaht waren,
besangen sie als eine sonnige und sorgenlose. Auch
mir ist die Heiterkeit als einer der Züge griechischen
Wesens wie überall, so an den Bauten der Akropolis
erschienen. Nur vernahm ich nicht die harmlose
Fröhlichkeit der Jugend, sondern vielmehr die stille
Heiterkeit derer, die nach Kämpfen und Schmerzen
den Frieden gefunden haben. Wie sollte es auch
anders sein? — Nimmermehr könnten diese Götter-
bilder und Tempel noch jetzt ihre tausendjährige
Botschaftschmerzstillenden Trostes verkünden, wenn
ihre Schönheit nicht in Schmerzen geboren wäre.
Doch es ist genug für heute. Der Mond, der
das Eine jäh beleuchtet und das Andere im blau-
schwarzen Schatten versinken lässt, verführt zum
Träumen. — Die Zeit war abgelaufen. Noch ein
letzter Rundblick und ich stieg wieder hinab durch
die Säulenhallen der Propyläen, die halbverfallenen
Treppenstufen tastend suchend. Der Wagen wartete
schon fast zu lange. Bald führte er mich wieder
durch die goldbraune Wüste, die das alte Athen
bedeckt, dem Lichtgefunkel des Piraeus zu.
M
Gebildete meint dergleichen an den Kinderschuhen
abgetreten zu haben. Reden wir nicht davon. Wir
hatten ein leeres Schema überkommen. Aber in
jeder Kunst ist das Beste und Feinste ein letztes
Wort, das in keinem Lehrbuch steht. Die letzte
Schönheit dieser Bauformen ist wie mir scheint un-
messbar, unberechenbar und unnachahmlich. Sie
handelt von Dingen, die man nicht mehr sieht,
sondern nur fühlt. Wie gross und wie geschlossen
zugleich erhebt sich diese leere Säulenreihe auf den
wenigen Stufen. Nach langer Betrachtung ahnen
wir eine leise Neigung der Säulen nach innen, eine
Anschwellung der Tempelstufen in ihrer Mitte.
Aber in welche Formel sollen wir Ursache und
Wirkung bannen! Da liegt eines der Parthenon-
kapitelle am Boden und scharf hebt sich sein Um-
riss im klarenMondlicht vom schwarzblauen Schatten
ab. Wieder ein letztes Wort! Was wussten wir
bisher vom dorischen Kapitell! Wie straff schwillt
dieser Echinus gegen die Plinthe an! Die Kurve
ist so fein, dass man sie mit der graden Linie ver-
wechselt. Man muss den Umriss fühlen und un-
willkürlich kommt die Hand dem suchenden Auge
zu Hilfe. Oder lasst uns die Schwellung dieses
schlanken Säulenleibes betrachten. Wir sahen sie
oft daheim in grotesker Uebertreibung. Hier ist
sie so zart, dass man sie leugnen könnte. Nur ihre
Wirkung ist geblieben. — Und wieder wandere
ich zurück von Bau zu Bau und suche solche un-
scheinbaren Dinge, die Glieder, die bescheiden dem
Organismus des Ganzen dienen, und in denen doch
alle Grösse hellenischer Kunst verborgen liegt. Die
wenigen Reste, die uns aus der Fülle der griechi-
schen Bildnerei geblieben sind, machen uns in Ehr-
furcht erschauern. Aber selbst wenn sie uns fehlten,
so würde eine einzige Säulenbasis vom Erech-
theion den Ruhm des Volkes verkünden, dem ihr
namenloser Schöpfer angehörte. Um den Boden
zu bereiten, auf dem dieser Stein in seinen leicht
und streng geschwungenen Umrissen geformt wurde,
musste alles da sein, die höchste Verfeinerung des
Gefühls, Schöpferkraft, strenge Selbstkritik und
der Glaube an Götter, die dieses Haus bewohnten als
die adligsten Vorbilder und Urbilder der Menschen.
Man sagte uns, dass die Kunst der Griechen
heiter sei und unsre Dichter, die ihr genaht waren,
besangen sie als eine sonnige und sorgenlose. Auch
mir ist die Heiterkeit als einer der Züge griechischen
Wesens wie überall, so an den Bauten der Akropolis
erschienen. Nur vernahm ich nicht die harmlose
Fröhlichkeit der Jugend, sondern vielmehr die stille
Heiterkeit derer, die nach Kämpfen und Schmerzen
den Frieden gefunden haben. Wie sollte es auch
anders sein? — Nimmermehr könnten diese Götter-
bilder und Tempel noch jetzt ihre tausendjährige
Botschaftschmerzstillenden Trostes verkünden, wenn
ihre Schönheit nicht in Schmerzen geboren wäre.
Doch es ist genug für heute. Der Mond, der
das Eine jäh beleuchtet und das Andere im blau-
schwarzen Schatten versinken lässt, verführt zum
Träumen. — Die Zeit war abgelaufen. Noch ein
letzter Rundblick und ich stieg wieder hinab durch
die Säulenhallen der Propyläen, die halbverfallenen
Treppenstufen tastend suchend. Der Wagen wartete
schon fast zu lange. Bald führte er mich wieder
durch die goldbraune Wüste, die das alte Athen
bedeckt, dem Lichtgefunkel des Piraeus zu.
M