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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Meier-Graefe, Julius: Constantin Guys
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0200

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CONSTANTIN GUYS

VON

JULIUS MEIER-GRAEFE

MAN war vor fünfzig Jahren ungemein lustig
in Paris. Abends glänzten die Säle in den
Tuilerien von Licht, Uniformen und nackten
Schultern. In der Rue Rivoli standen des Nach-
mittags dicht gedrängt die Neugierigen, um die
schlanken Kaleschen nach den Bois hinausfahren
zu sehen, in denen die Damen mit der vielen Seide
und den hochfrisierten Köpfchen lagen, die Ge-
sichter hinter winzigen Spitzenschirmchen, die sich
oben am Dach umbiegen Hessen, nach der englischen
Mode. Wenig Droschken, fabelhafte Läden, über-
all geputzte Menschen. Unter den Kolonaden ging
es zierlich zu. Die Leute rannten nicht, die Herren
balanzierten gelassen in sehr engen Hosen sehr hohe
Zylinder. Es war die Zeit der kleinen behaglichen
Restaurants mit den berühmten Köchen. Es gab
noch keinen Duval und auf dem ganzen Boulevard
kein einziges münchener Bier-Cafe. „Ja damals"
— seufzen die bekannten alten Leute — man
lebte — oui alors.

Man lebt wohl auch heute noch. Wenigstens
bleibt uns Spätgeborenen keine andere Annahme
übrig. Ja, und das Leben scheint uns hier auch heute
noch so unverdient beglückend, jeder Tag ein
neues Gnadengeschenk, dass wir den bekannten
Alten gar vergnügt zunicken! Schon gut, wir

leben auch noch. Ob weniger ergiebig, wollen
wir dahingestellt lassen. — Sicher ganz anders!
Damals lebte Paris durch die Leute. Man bildete
noch an der Tradition der Metropole, bereicherte die
Annalen mit ungeheuerlichen Streichen und gab
immer noch mehr Geld aus als der andere. Wir sind
faul, indolent, geizig, will sagen fleissig, intelligent,
generös geworden; lassen Paris für uns leben,
stehen wie brave Philister davor mit grossen Augen,
geben möglichst wenig Geld aus und machen mög-
lichst wenig dumme Streiche, um recht viel davon
zu haben, um ewig hier zu bleiben, um nie wieder
in die Provinz zu Mama zu müssen. Deshalb
arbeiten wir, mehr als daheim, mehr als irgendwo
in der Welt. Deshalb sind wir viel moralischer
als in der Provinz, bourgeoiser als irgend ein
Spiesser im Kieferstädtl, vortreffliche Zeitgenossen.
Wir können den Zauber nicht mehr weiter bauen,
haben nicht mehr das Toupet der Alten dazu,
selbst wenn wir das Geld und das Rückenmark
übrig hätten, wir regieren und lassen uns regieren
wie vernünftige Menschen. Damals lebte Paris
durch die Menschen, heute leben sie durch Paris;
grössere Schmarotzer als es jemals gegeben hat,
Schlemmer im Geiste. Treuer geliebt wurde Paris
nie. So mag Rom kurz vor dem Krach angebetet

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