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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0235

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Dr. Rudolf Siemering, der Bildhauer und Direktor
des Rauch-Museums, ist im Alter von siebzig Jahren
gestorben. H.

ALBERT KRÜGERS FARBENHOLZSCHNITT
DES ERASMUS VON ROTTERDAM

Wenn man leichten Herzens der graphischen Re-
produktionskunst von den Enthusiasten der photogra-
phischen Techniken das Grablied hat singen hören, so
dachte man dabei gewiss wohl meist nur an den akade-
mischen Linienstich, der in der That im Verlaufe des
19. Jahrhunderts den Höhepunkt des technischen Ba-
nausentums erreicht hatte. Ihn konnte man allerdings
ohne Bedauern unter der Last seiner Sünden am Geiste
der Kunst in die Grube fahren sehen. Der Wert der
alten Meisterwerke der Reproduktionsgraphik ist aber
in der Schätzung der einsichtigen Kunstfreunde durch
die Photographie keineswegs gemindert worden. Stiche
von Edelincken oder von Tardie sind auch neben den
Photographien nach den Originalen von Lebrun oder
Watteau im stände ihre Daseinsberechtigung geltend zu
machen, weil die feinsinnigen Techniker hier eben den
Darstellungen neue und eigene Reize durch ihre Kunst
abzugewinnen gewusst haben und mit ihrer Arbeit be-
sondere künstlerische und praktische Absichten zu er-
füllen berufen waren.

So wenig den alten Meistern des Grabstichels und
der Nadel die treue Wiedergabe der Originale einzig
und allein Endzweck ihrer Arbeit war, ebenso wenig
haben sich in unserer Zeit Techniker von künstlerischer
Selbständigkeit durch den Wettbewerb der Photographie
davon abschrecken lassen, den künstlerischen Inhalt
eines bewunderten Meisterwerkes der monumentalen
Kunst in anderer Form vorzutragen. Das Arbeitsgebiet
der künstlerischen Reproduktion ist allerdings durch
die mechanischen Techniken sehr beschränkt worden.
Vom künstlerischen Standpunkte aus wird man das aber
nicht als einen Schaden ansehen dürfen. Die handwerk-
liche Arbeit, die nur von der Masse leben kann, wird
ausgeschaltet, und die lebendige Kraft des denkenden
Künstlers konzentriert sich auf die wenigen grossen
Aufgaben der Reproduktion, die mit den Mitteln der
mechanischen Technik nicht zu lösen sind, in erster
Linie auf die Vervielfältigung des Kunstwerkes in einer
dekorativ verwertbaren Form.

Alle mechanischen Reproduktionstechniken ver-
ändern die Verhältnisse nicht nur der Farben- sondern
auch der Lichtwerte und zwar nicht nach der indivi-
duellen Sehweise eines Menschen sondern nach dem
optischen Systeme der photographischen Apparate,
Platten u.s.w. Wo die Retouche einsetzt, hört, ebenso
wie beim Farbenlichtdrucke, die rein mechanische Re-
produktion auf. Durch die photographische Aufnahme
werden vor allem die Accente in den Formen und

Farben verwischt und die Plastik der Erscheinungen
durch den Mangel an scharfen Kontrasten in den Tönen
zerstört. Es ist meiner Meinung nach eine Geschmacks-
verirrung, Photographien, noch dazu ohne Papierrand
wie Bilder eingerahmt, an die Wände zu hängen. Hier
bleibt der künstlerischen Reproduktion ein Gebiet,
dessen Bedeutung man erst jetzt wieder zu erkennen
beginnt. Worauf es, abgesehen von geschickter Aus-
wahl der Originale nach Kunstwert und gegenständ-
licher Bedeutung, vor Allem ankommt, das ist kraftvolle
plastischeWirkung derFormenund dekorative Stimmung
der Licht- und Farbenwerte.

Nach der geeignetsten Technik für derartige Re-
produktionen hätte man nicht lange zu suchen brauchen.
Der alte Holzschnitt war von seinen ersten Anfängen
an zu solchen Aufgaben der Dekoration herangezogen
worden und hat im Laufe der Jahrhunderte seine vor-
zügliche Eignung zur Darstellung von Formen für die
Feinwirkung und seine leichte Verwendbarkeit für die
Herstellung mehrfarbiger Bilder glänzend bewiesen.

Der moderne Holzschnitt, oder vielmehr Holzstich,
wie man ihn nennen müsste, hat sich erst in jüngster
Zeit von der glänzend virtuosenhaften Technik, die im
wesentlichen auf eine Faksimilierung der auf den Holz-
stock übertragenen Photographie hinauslief, wieder der
alten einfachen Schnittweise, die die Eigentümlichkeiten
der Herstellung in jeder einzelnen Linie zur Geltung
kommen lässt, zugewandt. Ein richtiges Gefühl hat die
Buchillustration, besonders in England, zum Teil in
direkter Anlehnung an den Stil des 15. Jahrhunderts,
wieder zu durchsichtig linearer Formenbildung zurück-
geführt; man hat neuerdings auch mit Erfolg begonnen,
die Kernigkeit der Linienbildung und die Kontrastierung
grosser Licht- und Farbflachen, die der Holzschnitt
gestattet, für bildmässige und dekorative Wirkungen aus-
zunutzen. Suchte man in jenen Transkriptionen der
Photographie den technischen Prozess dem Auge mög-
lichst zu entziehen, so wird hier gerade dies offene Auf-
weisen der materiellen Arbeit zu einem bedeutenden
Faktor der künstlerischen Wirkung. Es wird so ein Kon-
takt zwischen dem Schaffenden und dem Betrachtenden
hergestellt; unser Mitgefühl wird lebendig, indem wir in
dem Werke die schaffende Hand des Menschen erkennen.
Der unerklärliche Entstehungsprozess beschäftigt zu
sehr unser Nachdenken und lässt deshalb unser Gefühl
schwerer zu Worte kommen.

In diesen freien künstlerischen Formen scheint der
alte wackere Holzschnitt nun auch als dekorative Re-
produktionstechnik seine Auferstehung feiern zu wollen.
Albert Krüger hat schon seit mehreren Jahren in
einigen nach italienischen Gemälden in Originalgrösse
ausgeführten Farbenholzschnitten mit Erfolg versucht,
einen eigenen Stil für diese Reproduktionen auszubilden.
Seine neueste Arbeit nach Holbeins Erasmus von Rotter-
dam im Louvre zu Paris scheint mir der gelungenste
seiner bisherigen Versuche zu sein und von ver-

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