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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Lichtwark, Alfred: Kieler Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0265

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Am wenigsten weiss man von dem heute zweifel-
los anziehendsten und lehrreichsten, dem Museum
vaterländischer Altertümer.

Räumlich umfasst es das Gebiet Schleswig-Hol-
steins, zeitlich die ungeheure Spanne menschlichen
Lebens auf der Scholle jenseit der Einführung des
Christentums bis zurück in die erste Dämmerung
menschlicher Kultur.

In einem schönen, schlichten, alten Backstein-
gebäude, das im Schlossbezirk liegt und bis 1876
der Universität diente, wird es aufbewahrt. Die
Aufstellung der grossen Schätze arbeitet mit den
bescheidensten Mitteln, aber gerade deshalb kommt
der Inhalt der Schränke ohne Abzug und Zusatz
zur Geltung. Keine Ueppigkeit der Architektur
oder der Wanddekoration, keine Gemälde und ver-
goldeten Ornamente zerstreuen die Aufmerksamkeit.
Man sieht in diesem Museum wirklich nichts als
den Inhalt.

Die Leiterin des Museums, Fräulein Direktor
Prof. Dr. Mestorf, der kürzlich zu allen andern
Ehren die goldene Medaille für Kunst und Wissen-
schaft verliehen wurde, war so liebenswürdig uns
einzuführen.

Wer sie in ihrem Museum kennen lernt, ist
geneigt, die schlanke Dame mit ihrer aufrechten
Haltung und den feinen, durchgearbeiteten Zügen
schliesslich ebenso interessant zu finden, wie den
Inhalt ihrer Sammlung, und niemand würde der
federnden Gestalt ein Alter von fünfundsiebzig
Jahren zutrauen. Dabei hat sich Fräulein Mestorf
bei der Präparierung der umfangreichen Moor-
funde mehr als einmal an den Rand des Todes
gebracht.

Durch die Arbeit ihres Lebens hat sie sich eine
führende Stellung erworben. Es giebt wohl in
Deutschland keine zweite Frau, die soviel erreicht
hat. Sie ist seit 1801 Direktor ihres Museums, an
dem sie vorher Kustos war, hat, wenn ich nicht
irre, als erste Frau in Preussen für gelehrte Arbeit
den Titel Professor und bei ihrem 7 f. Geburtstag
in diesem Jahre die goldene Medaille für Kunst
und Wissenschaft erhalten.

Wie ist sie dazu gekommen, sich zu einer Zeit,
wo es eine Frauenbewegung in Deutschland noch
nicht gab, auf diesem, den Interessen der Frauen-
welt so fern liegenden Gebiet anzusiedeln?

Schon im Elternhause wurde sie als Kind von
ihrem Vater, einem leidenschaftlichen Sammler vor-
geschichtlicher Altertümer, in die Wissenschaft
eingeführt. Ihr Vater, Dr. med. Mestorf in Bram-

stedt, hatte eine ansehnliche Sammlung vorgeschicht-
licher Altertümer ausgebildet und war auf auto-
didaktischem Wege dahin gekommen, sie nach den
drei grossen Epochen der Stein-, Bronze- und Eisen-
zeit zu ordnen. Das war ein Jahrzehnt ehe die
Wissenschaft die Lehre von der Dreiperiodenteilung
aufgestellt hatte.

So stand Fräulein Mestorf seit ihrer frühesten
Jugend in Fühlung mit den Dingen, deren Erfor-
schung sie ihr ganzes Leben widmen sollte. Sie
und ihre Mitarbeiter kamen gerade noch im rechten
Augenblick, um das letzte zu retten. Unendlich
viel war im Lauf des Mittelalters bis gegen den
Schluss des achtzehnten Jahrhunderts durch Schatz-
gräber, die die Hünengräber aufwühlten, zerstört
worden. Denn das Volk hatte nie vergessen, dass
in den künstlichen Hügeln nicht nur die Toten
begraben lagen, sondern ihre Schätze mit. Alle
Sagen und Märchen sind voll davon. Voll auch
von den Spuren der Enttäuschung derer, die statt
des erhofften Goldes Scherben gefunden hatten und
eine übernatürliche Erklärung für ihr Missgeschick
suchten. Jeder kennt den Typus der Sage von dem
schon berührten Goldschatz, der durch die Schuld
des Finders verwandelt wird oder in unergründliche
Tiefen versinkt, und von dem seltenen Sonntags-
kind, das den Schatz wirklich heimträgt. Aber
mehr als die Schatzgräber hatte der Pflug zerstört,
der das Oedland alter Begräbnisstätten der Kultur
unterwarf. Im neunzehnten Jahrhundert sollten
dann die Wegebauten, die die alten Grabstätten als
Steinbruch ausnutzten, und die tieffurchenden
Dampfpflüge den Rest dezimieren.

Was die Sammler und Gelehrten des neunzehnten
Jahrhunderts gerettet haben, wird ihnen die fernste
Zukunft danken. Es handelt sich nicht um selt-
same Museumsstücke zum Anstaunen und Bewun-
dern, sondern um den Einblick in die Urgeschichte
unserer Rasse, die uns nicht durch schriftliche Do-
kumente übermittelt ist.

Frl. Mestorf hat sich ihren hervorragenden Platz
in diesem Kreis erobert nicht nur als Leiterin und
Mehrerin ihrer Sammlungen, sondern auch durch
ihre eigne ausgedehnte Forscherthätigkeit, die sich
über ein umfangreiches Gebiet erstreckt und weit
über das Gebiet der Prähistorie hinausgreift. Sie
ist für ihre Generation ausserdem die eigentliche
Vermittlerin der Forschungsarbeit des Nordens ge-
worden, der klassischen Heimat der vorgeschicht-
lichen Wissenschaften. Ihrer Hingabe verdankt
die deutsche Wissenschaft die Uebersetzung der

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