Phantasie — Zucker
Vernunft = schwarzer Kaffee.
^3 Vernunft-schwarzer Kaffee. Ich sehe da gegen
die Vernunft den Einwand voraus, der gegen den
schwarzen Kaffee sich erhebt, aber der französische
Gelehrte Lebourneau hat den Nachweis erbracht,
dass der Genuss von Kaffee die Rasse verfeinert.
Die Vernunft hat den Menschen verfeinert, noch
ehe er den Kaffe kannte. Sie ist beim Kinde schon
da, ehe sie ihm den Genuss aufregender Getränke
gestattet.
/<*>& Vernünftig konzipieren: das ist alt und ist neu.
Es führt zu den letzten Konsequencen und nicht
zum juste milieu. Der Stil, der sich bemüht, ver-
nünftig zu koncipieren ist modern; die Konzeption
der Antike war keine andere.
Haben die Griechen keine Pralines gemocht
und sind sie nicht zum Five o'clock gegangen?
Jedenfalls haben sie die Konversation der Damen,
die sie besuchten, ebensowenig ernst genommen,
wie wir heute.
%g3 Kunst und Geist der Antike sind nur dem zu-
gänglich, der sich ihnen auf dem Wege der reinen
Vernunft naht.
Ihre einfachen Konzeptionen sind ohneWirkung
geblieben auf uns, und wir haben sie als solche erst
erkannt, als wir selbst anfingen, vernünftig zu kon-
zipieren.
Wer den Zauber vernünftiger Konzeption zu
gemessen weiss und die Schönheit solcher Konzeption
erkennt, den treibt es hin zur Antike und hin nach
Griechenland. Er macht sich auf als moderner Mensch,
im Flanellanzug, mit gelbem Koffer und gelben
Stiefeln, und dieser Stempel des Modernen geleitet
ihn wie die Hotcletiketten auf seinem Gepäck. Sie
künden, von wannen der Wanderer kommt.
%a§ Die Reise dahin ist keine grade; sie macht einen
Haken; einen Umweg, der ins Mittelalter führt;
auf halbem Wege.
Xa,^ Gotik: erster Spiegel, in dem unsere vernünf-
tige Konzeption der Dinge reflektiert, von dem aus
dann das Bild nach den silbernen Spiegeln des grie-
chischen Archipels geworfen wird.
S^ Das Mittelalter griff die Probleme mit den
Kräften der Vernunft auf.
Da aber geschah es, dass auf diesem Willen zur
Vernunft und auf dieser Gabe, die Dinge vernünftig
zu erfassen, eine tausendjährige Tradition lastete voll
finsterer religiöser Gebräuche. Ein Gott, eine Jung-
frau als Mutter, und ein Paradies, in dem ebenso
viele Heilige und Engel wohnten, als Teufel und
böse Geister in einer Hölle, das waren die Gewichte,
die an jenen Willen zur Vernunft sich hängten.
Y<f^\ Gotische Dome, Rathäuser, Beifriede; alles das
scheint ebenso vernünftig konzipiert zu sein, wie
die geklöppelten Spitzen jener Epoche. Wie durch
diese der Faden von Anfang bis zu Ende durch-
schlägt, so erscheint in allen Teilen des Bauwerks
die Vernunft gleich lebendig.
Um das Centrum der Nadel und um die Masche
der Spitze spinnt und schlägt sich der Faden; um die
Nägel des Kreuzes und um die geweihten Symbole
spinnt und webt die Vernunft der gotischen Meisters
der Dome.
%äS Wie kommt es, dass der christliche Baumeister
gerade zwischen sich und seine Vernunft seinen
Gott und seine Religion hat stellen können?
Das ist der Splitter, der sich in das Räderwerk
klemmt, und ein Strohhalm genügt, die Maschine
zum Stillstand zu bringen. Kathedralen und Rat-
häuser; durchaus vernünftige, klar durchdachte
Organismen, inmitten eines wirbelnden Geschehens,
dessen Erinnerung mit diesen Organismen verwach-
sen ist.
Voller Vernunft, und geglättet die Steine; man
denke an Amiens.
Voll der Wirkung der Zeit und des Reichtums
der altenLegende; man denke anChartresund Reims,
an Rouen und Paris.
%§% Das Spiel von Licht und Schatten, das in diesem
Gestein der Kathedralen zittert und lebt, teilt sein
Leben dem Stein selbst mit und mehr noch den
göttlichen steinernen Gestalten selbst, all diesen
gläubigen Königen und ihren frommen Königinnen.
Seitdem wirkt die Kathedrale wie ein Buch.
Sie ist es, die da belehrt und unterrichtet alle die,
die nicht lesen können. Sie selbst verschwindet
immer mehr, sie löst sich auf und der wunderbare
Kern, der in ihr lebt, erstickt. Die Vernunft hat
bewusst sich den Tod gegeben.
%iäS Das düster lastende Grau unseres Himmels hat
sie zur Vernunft getrieben. Tausende von stein-
gemeisselten Gottheiten, von Heiligen und Aposteln,
von klugen und törichten Jungfrauen vermögen in
unserem unglückseligen Occident nicht so viel als
ein einziger Lichtstrahl in jenen gesegneten Landen,
in Attika und in Egypten.
%äS Da drunten da ist das Spiel von Licht und
Schatten wie in Liebe das selige Haschen und Fliehen
gelber und blauer Schmetterlinge.
Bei uns ist das Spiel von Licht und Schatten wie
der rote Frachtkahn auf einem schwarzen Kanal.
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Vernunft = schwarzer Kaffee.
^3 Vernunft-schwarzer Kaffee. Ich sehe da gegen
die Vernunft den Einwand voraus, der gegen den
schwarzen Kaffee sich erhebt, aber der französische
Gelehrte Lebourneau hat den Nachweis erbracht,
dass der Genuss von Kaffee die Rasse verfeinert.
Die Vernunft hat den Menschen verfeinert, noch
ehe er den Kaffe kannte. Sie ist beim Kinde schon
da, ehe sie ihm den Genuss aufregender Getränke
gestattet.
/<*>& Vernünftig konzipieren: das ist alt und ist neu.
Es führt zu den letzten Konsequencen und nicht
zum juste milieu. Der Stil, der sich bemüht, ver-
nünftig zu koncipieren ist modern; die Konzeption
der Antike war keine andere.
Haben die Griechen keine Pralines gemocht
und sind sie nicht zum Five o'clock gegangen?
Jedenfalls haben sie die Konversation der Damen,
die sie besuchten, ebensowenig ernst genommen,
wie wir heute.
%g3 Kunst und Geist der Antike sind nur dem zu-
gänglich, der sich ihnen auf dem Wege der reinen
Vernunft naht.
Ihre einfachen Konzeptionen sind ohneWirkung
geblieben auf uns, und wir haben sie als solche erst
erkannt, als wir selbst anfingen, vernünftig zu kon-
zipieren.
Wer den Zauber vernünftiger Konzeption zu
gemessen weiss und die Schönheit solcher Konzeption
erkennt, den treibt es hin zur Antike und hin nach
Griechenland. Er macht sich auf als moderner Mensch,
im Flanellanzug, mit gelbem Koffer und gelben
Stiefeln, und dieser Stempel des Modernen geleitet
ihn wie die Hotcletiketten auf seinem Gepäck. Sie
künden, von wannen der Wanderer kommt.
%a§ Die Reise dahin ist keine grade; sie macht einen
Haken; einen Umweg, der ins Mittelalter führt;
auf halbem Wege.
Xa,^ Gotik: erster Spiegel, in dem unsere vernünf-
tige Konzeption der Dinge reflektiert, von dem aus
dann das Bild nach den silbernen Spiegeln des grie-
chischen Archipels geworfen wird.
S^ Das Mittelalter griff die Probleme mit den
Kräften der Vernunft auf.
Da aber geschah es, dass auf diesem Willen zur
Vernunft und auf dieser Gabe, die Dinge vernünftig
zu erfassen, eine tausendjährige Tradition lastete voll
finsterer religiöser Gebräuche. Ein Gott, eine Jung-
frau als Mutter, und ein Paradies, in dem ebenso
viele Heilige und Engel wohnten, als Teufel und
böse Geister in einer Hölle, das waren die Gewichte,
die an jenen Willen zur Vernunft sich hängten.
Y<f^\ Gotische Dome, Rathäuser, Beifriede; alles das
scheint ebenso vernünftig konzipiert zu sein, wie
die geklöppelten Spitzen jener Epoche. Wie durch
diese der Faden von Anfang bis zu Ende durch-
schlägt, so erscheint in allen Teilen des Bauwerks
die Vernunft gleich lebendig.
Um das Centrum der Nadel und um die Masche
der Spitze spinnt und schlägt sich der Faden; um die
Nägel des Kreuzes und um die geweihten Symbole
spinnt und webt die Vernunft der gotischen Meisters
der Dome.
%äS Wie kommt es, dass der christliche Baumeister
gerade zwischen sich und seine Vernunft seinen
Gott und seine Religion hat stellen können?
Das ist der Splitter, der sich in das Räderwerk
klemmt, und ein Strohhalm genügt, die Maschine
zum Stillstand zu bringen. Kathedralen und Rat-
häuser; durchaus vernünftige, klar durchdachte
Organismen, inmitten eines wirbelnden Geschehens,
dessen Erinnerung mit diesen Organismen verwach-
sen ist.
Voller Vernunft, und geglättet die Steine; man
denke an Amiens.
Voll der Wirkung der Zeit und des Reichtums
der altenLegende; man denke anChartresund Reims,
an Rouen und Paris.
%§% Das Spiel von Licht und Schatten, das in diesem
Gestein der Kathedralen zittert und lebt, teilt sein
Leben dem Stein selbst mit und mehr noch den
göttlichen steinernen Gestalten selbst, all diesen
gläubigen Königen und ihren frommen Königinnen.
Seitdem wirkt die Kathedrale wie ein Buch.
Sie ist es, die da belehrt und unterrichtet alle die,
die nicht lesen können. Sie selbst verschwindet
immer mehr, sie löst sich auf und der wunderbare
Kern, der in ihr lebt, erstickt. Die Vernunft hat
bewusst sich den Tod gegeben.
%iäS Das düster lastende Grau unseres Himmels hat
sie zur Vernunft getrieben. Tausende von stein-
gemeisselten Gottheiten, von Heiligen und Aposteln,
von klugen und törichten Jungfrauen vermögen in
unserem unglückseligen Occident nicht so viel als
ein einziger Lichtstrahl in jenen gesegneten Landen,
in Attika und in Egypten.
%äS Da drunten da ist das Spiel von Licht und
Schatten wie in Liebe das selige Haschen und Fliehen
gelber und blauer Schmetterlinge.
Bei uns ist das Spiel von Licht und Schatten wie
der rote Frachtkahn auf einem schwarzen Kanal.
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