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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0325

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Gebildete, das Sinnende und Träumende nicht mehr —
das manche Beurteiler zu dem so ungehörigen Vergleiche
mit den Kunstleistungen der Düse hinriss — wir finden
dagegen den Typus der Boldinischen Frau in ihr, der
Frau, die in der Gesellschaft lebt. Auch diese Herzogin
von Aosta ist in ihrer Weise ein bewundernswertes
Modell gewesen. Eine gewandte Kraft im Charakte-
risieren zeigt Canonica in dem Porträt des Tommaso
Vallauri, eines specifisch italienischen Gelehrten. Seine
religiösen Darstellungen sind durchweg fade, süsslich.
In einem kleinen genrebildlichen Motiv, einer Nonne
in Marmor, die neben einem schmiedeeisernen, tat-
sächlich schmiedeeisernen Gitter sitzt, erinnert Canonica
— zum Erschrecken — an seine Kollegen, die Virtuosen
der genrebildlichen Darstellungen auf den modernen
italienischen Friedhöfen — nur dass er vielleicht der
König unter all diesen italienischen Bildhauern ist, der-
jenige, der am meisten Fähigkeit hat, sich anzupassen.

BETREFF DER SCHACKSCHEN GALERIE

In der Vossischen Zeitung thut ein münchner Korre-
spondent den Ausspruch, ich hätte die Veränderung in der
Schackschen Galerie darauf basiert, dass der alte Diener
nicht mehr da sei. Ich hatte das aber nur als ein In-
grediens behandelt — was der Korrespondent der Vos-
sischen Zeitung wohlweislich verschweigt! Gewiss trug
es zur Erhöhung der köstlichen und märchenhaften
Stimmung bei, wenn man in der Schackschen Galerie,
nachdem der bärbeissige Cerberus uns hereingelassen
hatte, sich alleingelassen sah. Dieser Umstand bildete
aber, das mag der Verfasser der Korrespondenz uns
glauben, nur einen Teil unseres Vergnügens! Alles in
der Galerie deuchte uns angenehm, erfreulich, eigen-
artig ! Wenn man später — nachdem Graf Schack ver-
schieden war — in die Galerie kam und in diesem stillen
Hause nicht mehr das Bildnis des Grafen, von Lenbach
gemalt (es hing über dem Schreibtisch; die Hand schien
mit einladender Geberde die Aufforderung des wüsten
groben Dieners, dass man seinen Namen in das aus-
liegende Buch eintragen solle, liebevoll-freundlich zu
unterstützen), dies Bild nicht mehr über dem Schreib-
tisch hängen sah — wenn man nicht wenige Bilder aus-
einandergerissen fand, die früher, wer weiss, wie
lange, zusammengehängt hatten, dann hatte man das
Gefühl, Zeuge zu werden, wie diese Galerie sich
in „ein Museum" auswuchs, d. h. unpersönlich wurde,
d. h. starb. Gerade so wie Kirchenbilder von ihrem
inneren Leben einbüssen, sobald sie in Museen auf-

genommen sind. Hier hängen sie in Reih und Glied
und doch aus ihrem Leben herausgerissen. Warum denn
sonst, wenn nicht aus diesem Grunde, vergliche man
die Museen — alle Museen — mit Herbarien, mit wohl-
geordneten Sammlungen getrockneter Pflanzen? Es ist
nicht anders, mit dem Tode des Grafen Schaqk hat
seine Sammlung aufgehört als lebendiger Organis-
mus zu wirken. Sie hat — wozu verschiedene Ursachen
zusammen beigetragen haben — in dem Maasse, in dem
ein Schatz von köstlichen Werken an Interesse einbüssen
kann, an Interesse verloren. Nur in einem einzigen
Punkte hat die münchener Korrespondenz recht — falls
sich ihre Mitteilung bestätigt — und wir würden uns
überaus freuen, wenn sie sich bewahrheitete: wenn
Adolf Hildebrand und nicht ein berliner Hofarchitekt
das neue Museum entwirft, dann wird es eben nicht
ein „Bau nach berühmtem Muster"! Jeder, der Adolf
Hildebrand kennt, der die herrliche gerade baukünst-
lerische Begabung des ausgezeichneten Bildhauers kennt,
weiss dann, dass wir dem Entstehen eines prächtigen
Gebäudes entgegensehen dürfen, und es würde das
Ungemach von uns genommen sein uns vorzustellen,
dass selbst ins ferne München die Wirksamkeit des
Baurats Ihne hinübergreife.

Aber auch dann, selbst in der Erwartung des Pracht-
baus, den Adolf Hildebrand errichten wird, .werden
wir noch nicht den Jugendeindruck vergessen. Nicht
das etwas tolle Haus, das die Laune Lorenz Gedons für
den Grafen schuf. Nicht das Gemach im ersten Stock
mit der hohen Fensterwand und dem Spiegel zwischen
den beiden Fenstern; Stufen führten zu diesem Gemach,
in dem die auserwähltesten unter den Lenbachschen
Kopien hingen. Und jenseits einer Portiere war eine
Thür, und hinter dieser Thüre dachte man sich den
Grafen Schack halberblindet oder man dachte sich ihn,
wie er in den Stunden, in denen der Besuch ver-
boten war, vom Sekretär geführt durch die kunst-
erfüllten Räume schritt. Wir werden sogar die
hintere Galerie im ersten Stock nicht vergessen, die
schmucklos, andrerseits aber auch gänzlich anspruchslos
war, in der das Interesse des Besitzers für Kunst und
seine vollständige Gleichgültigkeit gegen Prunk zum
nackten Ausdruck kam — es tauchte selbst ein nacktes
hölzernes Treppengeländer, der Ausläufer einer ver-
lassenen Treppe, inmitten dieser Galerie mit rot-
gestrichenen Wänden auf . . . Die Sammlung Schack
war, auch in ihrer äusseren Erscheinung, das Bild einer
bestimmten Epoche im münchener Kulturleben, ein
Bild, das nun verwischt sein wird und seines indivi-
duellen Lebens beraubt. H.

DRITTER JAHRGANG, SIEBENTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 27. MÄRZ. AUSGABE AM SIEBENTEN APRIL NEUNZEHNHUNDERTFUNF
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.
 
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