DAS DENKMAL KAISER FRIEDRICHS
IN BREMEN
VON
GUSTAV PAULI
M Z2. März, dem Geburtstage
des alten Kaisers, wurde im strah-
lenden Sonnenschein zu Bremen
das neue Reiterdenkmal Kaiser
Friedrichs enthüllt. Es war eine
schöne Feier, bei der man lauter
vergnügte Gesichter sah. Aber sie unterschied sich
nicht wesentlich von andern Denkmalsenthüllungen.
Und doch hätte man diesem Denkmal eine ganz be-
sondere weihevolle Feier, etwas wie eine Huldigung
der Künste, gewünscht. Denn das Denkmal, dem
sie galt, ist wirklich ein ungewöhnliches.
Als die Leinentücher an den vier Masten nieder-
sanken, da wurde nicht nur das Bronzebild eines
edlen Fürsten und eines schönen Mannes enthüllt,
sondern auch die eine und die andere vergessene
Wahrheit.
Die Tracht des Kaisers ist durchaus unwirklich,
ein antikes Idealgewand, das auch zu Zeiten des
römischen Imperiums kein Mensch je getragen
hat. Noch mehr, der Panzer ist überhaupt gar kein
Panzer, sondern eine spinnwebdünne Haut, ja die
Epidermis des Körpers selbst, die nur durch ge-
schmückte Umsäumungen am Halse, anden Schultern
und am Bauche einen Panzer andeutet. Von derselben
edlen Unwirklichkeit sind auch die Stiefel, deren
ideales Material jeder Wendung der Flächen folgt
und jeden einzelnen Zeh erkennen lässt. Wir haben
solches lange nicht gesehen und das ist natürlich
für das Publikum Grund genug, zu protestieren.
Es scheint sogar, als ob die Mehrzahl innnerlich
entrüstet sei und nur aus sozusagen politischen
Anstandsrücksichten ihrem Herzen Schweigen ge-
biete. Die Mehrzahl, die ein kurzes Gedächtnis hat,
weiss nicht mehr, dass ein solches Idealkostüm für
Fürstendenkmäler bis vor hundert Jahren de rigueur
war, neben der Nacktheit die einzig anständige Er-
scheinungsform. Man darf also daran erinnern, dass
dieDenkmäler imZeitkostüm, die in ihrer harmlosen
Natürlichkeit oft wie versteinerte Momentphoto-
graphien aussehen, erst eine Errungenschaft des neun-
zehnten Jahrhunderts sind, ein Majoritätsbeschluss,
bei dem die Künstler überstimmt wurden. Das
Komische an der Sache ist nur — jede ernste Sache hat
ja zum mindesten eine komische Seite — also das
Komische ist nur, dass, wie vielleicht überall in
der Kunst, die grössere Wahrheit auf Seiten der
Unwirklichkeit liegt, und die Unwahrheit auf Seiten
der verstiegenen Natürlichkeit. Ein Seitenblick
möge die Diskussion abkürzen. Was giebt es na-
türlicheres auf der Welt als Maisons Kaiser Friedrich
vor dem Museum zu Berlin? — Er ist ein Faktum,
nein eine Zusammenstellung von Fakten, ein plasti-
sches Protokoll. So sass er zu Pferde. Solchen
Helm und solche Stiefel trug er. Der Kürass wurde
genau so zugehakt. Auch ist das Pferd durchaus
korrekt gesattelt und gezäumt. Und doch ist das Ge-
samtresultat eine ungeheure Unwahrheit. Denn der
34°
IN BREMEN
VON
GUSTAV PAULI
M Z2. März, dem Geburtstage
des alten Kaisers, wurde im strah-
lenden Sonnenschein zu Bremen
das neue Reiterdenkmal Kaiser
Friedrichs enthüllt. Es war eine
schöne Feier, bei der man lauter
vergnügte Gesichter sah. Aber sie unterschied sich
nicht wesentlich von andern Denkmalsenthüllungen.
Und doch hätte man diesem Denkmal eine ganz be-
sondere weihevolle Feier, etwas wie eine Huldigung
der Künste, gewünscht. Denn das Denkmal, dem
sie galt, ist wirklich ein ungewöhnliches.
Als die Leinentücher an den vier Masten nieder-
sanken, da wurde nicht nur das Bronzebild eines
edlen Fürsten und eines schönen Mannes enthüllt,
sondern auch die eine und die andere vergessene
Wahrheit.
Die Tracht des Kaisers ist durchaus unwirklich,
ein antikes Idealgewand, das auch zu Zeiten des
römischen Imperiums kein Mensch je getragen
hat. Noch mehr, der Panzer ist überhaupt gar kein
Panzer, sondern eine spinnwebdünne Haut, ja die
Epidermis des Körpers selbst, die nur durch ge-
schmückte Umsäumungen am Halse, anden Schultern
und am Bauche einen Panzer andeutet. Von derselben
edlen Unwirklichkeit sind auch die Stiefel, deren
ideales Material jeder Wendung der Flächen folgt
und jeden einzelnen Zeh erkennen lässt. Wir haben
solches lange nicht gesehen und das ist natürlich
für das Publikum Grund genug, zu protestieren.
Es scheint sogar, als ob die Mehrzahl innnerlich
entrüstet sei und nur aus sozusagen politischen
Anstandsrücksichten ihrem Herzen Schweigen ge-
biete. Die Mehrzahl, die ein kurzes Gedächtnis hat,
weiss nicht mehr, dass ein solches Idealkostüm für
Fürstendenkmäler bis vor hundert Jahren de rigueur
war, neben der Nacktheit die einzig anständige Er-
scheinungsform. Man darf also daran erinnern, dass
dieDenkmäler imZeitkostüm, die in ihrer harmlosen
Natürlichkeit oft wie versteinerte Momentphoto-
graphien aussehen, erst eine Errungenschaft des neun-
zehnten Jahrhunderts sind, ein Majoritätsbeschluss,
bei dem die Künstler überstimmt wurden. Das
Komische an der Sache ist nur — jede ernste Sache hat
ja zum mindesten eine komische Seite — also das
Komische ist nur, dass, wie vielleicht überall in
der Kunst, die grössere Wahrheit auf Seiten der
Unwirklichkeit liegt, und die Unwahrheit auf Seiten
der verstiegenen Natürlichkeit. Ein Seitenblick
möge die Diskussion abkürzen. Was giebt es na-
türlicheres auf der Welt als Maisons Kaiser Friedrich
vor dem Museum zu Berlin? — Er ist ein Faktum,
nein eine Zusammenstellung von Fakten, ein plasti-
sches Protokoll. So sass er zu Pferde. Solchen
Helm und solche Stiefel trug er. Der Kürass wurde
genau so zugehakt. Auch ist das Pferd durchaus
korrekt gesattelt und gezäumt. Und doch ist das Ge-
samtresultat eine ungeheure Unwahrheit. Denn der
34°