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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Constantin Meunier (gest.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0370

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Eindruck niederkämpfen, dass solcherart sich nicht
die Entwicklung eines ganz grossen Künstlers, eines
Künstlers der mit Rodin in einem Atem genannt
wird, abspielen konnte. Er fängt nicht mit ein-
undfünfzig Jahren an.

Noch dazu war das erste Werk, das er nach
seiner Erleuchtung machte, nur „ein Gruben-
unglück" (eine Frau über den Leichnam ihres
Sohns geworfen). Dann folgten Einzelfiguren. Am
Schluss seines Lebens steht das „Denkmal der Arbeit",
das der belgische Staat jetzt keine Lust zeigt, auf-
zustellen, und das man auf deutschem Boden, im
Ruhrrevier, jetzt errichten möchte.

Der „Kornträger", vor dem antwerpener Mu-
seum, hat etwas von dem miles gloriosus, den
A. de Neuville auf seinen Schlachtbildern, beispiels-
weise bei den vier gefangenen Offizieren von „le
Bourget" zeigte. Andere seiner Arbeiterfiguren —
auch diese! — triefen von Sentimentalität. Wie
weit ist man bei alldem von Rodin!

Meunier hat zwar Eins vor Rodin voraus.
Wenigstens Manche glauben, dass Rodin in seinen
feinsten Werken die immanenten Gesetze der Plastik
überschritten habe und wir stehen in der Zeit zu nahe
bei Rodin, um sicher sein zu können, ob er trium-
phierte oder sich versündigte. Fest steht aber, dass
Meunier niemals den Geboten der Plastik zuwider-
handelte. Er hat nie eine Komposition gestaltet,
die die Frage offen Hesse: durfte die Plastik das
thun?

Wenn wir indessen die von Meunier gestalteten
Arbeiterfiguren im Detail prüfen: seine gleich-
massigen Leute mit den grobenKinnbacken, den alige-
mein nach griechischen Verhältnissen behandelten
Gesichtern, den Bewegungen von Arbeitern, die zu-
gleich etwas melodramatisch sind — so haben
sie etwas Singendes, einen drapierten Zug, sie
wirken objet d'art-haft. In Zukunft werden sie
darunter zu leiden haben, dass sie obzwar ein deco-
ratives Genre, doch im Gegenstand herb, statt er-
freulich sind. Man wird sie sich zuwidersehen, zu-
mal sie unter einander so ähnlich sind; der Kon-
flikt in ihnen, dass sie Dekoration sind, sich aber
mit dem Ausdruck von schwer arbeitendenMenschen
befassen, wird ihnen schaden.

Sein Stil hat das Unrecht, sich für Statuetten
wenig zu eignen — und für grosse Statuen auch
nicht.

Hat man es nötig, den Unterschied mit Millet
zu begründen? Von Millet sagte der Poet: „Et ton
nom brillera parmi les noms illustres, O Dante des
manants! Michel-Ange des rustres!", und der Schrift-
steller: „Die Hammel sind bei sich zu Hause in
diesen Ebenen, die Hirtin gehört zu den Hammeln
wie diese zu ihr, das Erdreich und der Himmel,
die Scene und die Figuren — alles ruft sich zu sich
heran, hält sich zusammen und verbindet sich".

Wohl hat auch Meunier in diesem Genre ge-
schaffen, aber nur dekorativ.

Gerade wer Millet liebt, muss von Meunier
schnell zurückkommen. Selbst sein „Arbeitspferd",
das alte Tier, das im Bergwerk gelebt hat (und
bei dem man an die erschütternde Schilderung denkt,
die Zola im „Germinal" von dem alten Arbeits-
pferde macht) —■ selbst dieses Pferd, eine der besten
Leistungen Meuniers, berührt uns kaum noch, es
ist nur „dekorativ".

Bei Menzel hat man mit Unrecht gesagt, sein
Leben wäre tragisch gewesen, weil ihm keine
Schüler, keine Entwicklung gefolgt wären. Das
kommt uns nicht tragisch vor: er war er selbst.
Eher will uns Meuniers Schicksal tragisch bedünken,
von dem die Liebhaber abgefallen sind, die ihn
einst begeistert begrüsst hatten.

Es ist wahr, er hat ein anderes Publikum ge-
funden, ein weiteres, aber keins, das ihm das ent-
schwundene ersetzen könnte. Uns kommt der
Gedanke an die Theaterstücke, die von einer
Wiederholung zur andern vor einem immer er-
neuerten Publikum erscheinen, einem ständig
schlechter werdenden, wie die Direktoren uns sagen.
Meuniers Ruhm hat sich ausgebreitet, er ist aber
bei denen nicht mehr zu finden, die sich anfänglich
an einigen seiner Schönheiten gefreut hatten. Wir
werden annehmen müssen, dass sich das Urteil der
Zukunft für den grundgütigen, sympathischen Meu-
nier noch schärfer gestaltet. Sie wird ihn nicht
einen Neuerer nennen, trotz seiner neuen Motive,
eher einen Klassizisten; sie wird über die Torheit,
dass man ihn in einem Atemzuge mit Rodin zu
nennen wagte, absolut hinweggehn. Man wird
vielleicht in Zukunft von Meunier so sprechen wie
wir von Francois Coppee, dem Dichter des „Streiks
der Schmiede". Nur wird man an Meuniers Wer-
ken Eins höher als an dem schwachen Theater-
stück schätzen: die Struktur. H.
 
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