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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Aus der Correspondenz Vincent van Goghs, [13]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0411

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AUS DER CORRESPONDENZ
VINCENT VAN GOGHS

Da aber nichts gegen die Vermutung spricht,
dass es auf unzähligen anderen Planeten und Sonnen
ebenso Linien, Farben und Formen giebt, so bleibt
es uns unbenommen, eine gewisse Heiterkeit in
Bezug auf die Möglichkeit zu bewahren, unter
höheren Bedingungen, in einer veränderten Existenz
zu malen, etwa durch ein Phänomen, das viel-
leicht nicht unbegreiflicher und überraschender ist
als die Umwandlung der Raupe in den Schmetter-
ling, des Engerlings in den Maikäfer, welche Exi-
stenz des Maler-Schmetterlings einen der unzähligen
Sterne zum Schauplatz haben könnte, die nach dem
Tode uns vielleicht nicht unerreichbarer wären, als
die schwarzen Punkte auf einer Landkarte, die im
irdischen Leben Städte und Dörfer bedeuten.

Das Wissen! Die wissenschaftsliche Logik
scheint mir ein Instrument zu sein, das sich in der
Folge noch ungeahnt entwickeln wird; denn z. B.
man hat die Erde als eine Fläche angenommen.
Das war auch wahr. Sie ist es noch heute, von
Paris bis nach Asnieres. Das verhindert aber nicht,
dass die Wissenschaft beweist, dass die Erde rund
ist, was jetzt niemand bestreitet. Nun nimmt man
ebenso jetzt an, dass das Leben flach sei und von der
Geburt zum Tode führe. Wahrscheinlich ist das
Leben aber auch rund und weit höher an Aus-
dehnung und Fähigkeiten als die Sphäre, die uns
bisher allein bekannt ist. Spätere Generationen
werden uns wahrscheinlich über dieses interessante
Problem aufklären und dann könnte eventuell die

(FORTSETZUNG)

Wissenschaft — nichts für ungut — zu ungefähr
denselben Schlüssen kommen, die Christus als die
andere Hälfte des Lebens gelehrt hat. Wie dem
aber auch sei, Faktum ist, dass wir Maler sind, im
realen Leben, und dass wir unserm Schaffen unseren
Atem einblasen sollen, solange wir selbst atmen.

Ach, das schöne Bild von Eugene Delacroix,
die Barke Christi auf dem See Genezareth! Er,
mit seiner blassgelben Aureole schlafend, leuchtend,
in einem Fleck von dramatischem Violett, dunklem
Blau, von Blutrot, die Gruppe der erschreckten
Jünger, auf dem furchtbaren smaragdgrünen Meer,
welches steigt und steigt bis oben an den Rahmen.
Welch genialer Entwurf!

Ich würde Dir Skizzen machen, wenn ich nicht
gerade drei oder vier Tage lang nach einem Modell
— einem Zuaven — gezeichnet und gemalt hätte
und einfach nicht weiter kann. Das Schreiben,
wiederum, ruht mich aus und zerstreut mich. Es
ist scheusslich, was ich da gemacht habe, eine Zeich-
nung des sitzenden Zuaven, dann eine Oelskizze
das Zuaven gegen eine ganz weisse Mauer und
dann ein Porträt des Zuaven gegen eine grüne Thür
und einige orangegelbe Ziegel einer Mauer: alles
hart und hässlich und schlecht gemacht. Dennoch,
da wirkliche Schwierigkeiten dabei überwunden
sind, kann es den Weg in die Zukunft ebnen. Die
Figur, die ich mache, ist gewöhnlich schon für
meine eigenen Augen abscheulich, wie viel mehr erst
für die Augen anderer; und doch stärkt einen das

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