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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Aus der Correspondenz Vincent van Goghs, [14]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0458

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gäbe an die Natur, ohne an irgend
etwas anderes zu denken.

Ich kann nicht ohne Modelle ar-
beiten. Ich drehe wohl der Natur kühn
einmal den Rücken zu, aber ich habe
eine furchtbare Angst davor, die
Richtigkeit der Form zu verlieren.
Vielleicht später einmal, nach zehn
Jahren Studium — aber wahr und
wahrhaftig, ich habe eine so brennende
Neugier nach dem Möglichen und
Wirklichen, dass ich weder den Wunsch
noch den Mut habe, ein Ideal zu suchen,
das aus meinen abstrakten Studien ent-
stehen könnte. Andere mögen für ab-
strakte Studien begabter sein, sicherlich
gehörst Du dazu, auch Gauguin, viel-
leicht auch ich einmal, wenn ich alt
bin, inzwischen füttere ich mich durch
die Natur. Ich übertreibe wohl mal
oder ändere am Motiv, aber ich er-
finde nie das ganze Bild, im Gegen-
teil, ich finde es sogar fertig vor und
brauche es nur aus der Natur heraus
zuschälen.

Das Haus wird mir jetzt wohnlicher
vorkommen, wo ich die beiden Bilder
von Euch darin habe. Wie glücklich
wäre ich erst, Dich selbst im Winter
darin zu haben. Es ist ja wahr, die
Reise kostet ein bisschen viel. Aber
kann man nicht die Kosten riskieren
und sie durch Arbeit wieder einbringen?
Im Winter lässt es sich im Norden so
schwer arbeiten — vielleicht hier auch,
da ich ja noch gar keine Erfahrung darin habe,
das muss man erst abwarten, aber es ist verdammt
nützlich, den Süden zu kennen, wo sich das Leben
mehr im Freien abspielt, um besser die Japaner zu
verstehen. Und dann liegt in manchen Orten hier
etwas so unerklärlich Erhabenes und Nobles, das
Dir gerade sehr gut liegen würde.

Wenn Dein Vater einen Sohn hätte, der Gold
in den Kieseln oder auf den Trottoirs suchen und
finden würde, so würde Dein Vater sicherlich dieses
Talent nicht missachten; nun hast Du meiner An-
sicht nach mindestens ein ebenso wertvolles. Dein
Vater könnte vielleicht bedauern, dass es nicht ganz
neues und glänzendes Gold ist, das auch gleich in
Louis geprägt ist, aber er würde vielleicht Deine
Funde sammeln und sie nur zu einem guten Preise

ERICH HANCKE, MÄDCHENPORTRÄT

KUNSTLERBUNDSAUSSTELLUNG

abgeben. Na, dann soll er doch dasselbe mit
Deinen Bildern und Zeichnungen thun.

Die Idee, eine Art Freimaurerschaft von Malern
zu bilden, gefällt mir nicht sonderlich, ich bin ein
grosser Feind von Vorschriften, Institutionen usw.
— ich suche eben anderes als Dogmen, die, |weit
davon entfernt Dinge zu ordnen, nur endlose
Streitereien hervorrufen. Das ist ein Zeichen des
Verfalls. — Da eine Malervereinigung vorläufig nur
in sehr vagen Umrissen existiert, lassen wir doch
vorläufig die Dinge gehen, wie sie gehen. Es ist
weit schöner, wenn sich so etwas ganz natürlich
kristallisiert, je mehr gesprochen wird, desto
weniger wird gethan. Wenn Du Dein Teil dazu
beitragen willst, so musst Du nur mit Gauguin und
mir weiter arbeiten.

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