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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 5
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Winckel, Richard: Die Mosaiken von San Marco in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0234

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SAN MARCO, VENKDIG GETHSEMANE
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in höchst geistvoller Weise stilisiert; sie kennen
genau die Bedingungen der Fernwirkung mit allen
Vorzügen des strahlenden Materials und der Irra-
diation. Zu bleichen, oft weisslich-grellen Fleisch-
tönen mit graugrüner Schattierung setzen sie hie
und da Rosa und reines Orange, und indem sie
am Lichtrand und in den Tiefen der Hauptschatten
mit energischem Akzent leuchtend rote Linien
eintragen, erzielen sie im Ausgleich der Wirkungen
eine überraschend starke Expression.* — In der
farbigen Gesamthaltung der Bilder lassen die Vor-
schriften der Kirche wenig Abwechselung zu;
wer aber vermeinte, dass nur auf der Kontrastwir-
kung einfarbiger Flecke monumentale Färbung be-
ruhe, der erblickt überrascht in der Nähe den
Farbenreichtum, welcher den Ton gross macht,
und zählt die gestaffelten warmen und bläulichen
Nuancen, die vom Weiss ins Dunkle der Falten
und zurück führen. Doch ohne eigentliche Plastik.
Der Faltenwurf hatte bereits in der flächigen Deck-
farbenmalerei allmählich das Flüssige verloren; durch
Kopieren von Vorlage zu Vorlage, wohl auch nach
Plastik und dem Gitterwerk des Zellenschmelzes,
bildete sich dann im Mosaik aus oft sehr wider-
spruchsvollem Lineament und konzentrischen Figu-
ren, auch mit goldgehöhten Lichtern ein unstoff-
liches Gehäuse, in welches die Kurven des Aktes
mit viel Naturgefühl eingezeichnet sind, das aber
schliesslich ohne alle Lebenswahrheit erscheint.
Es ist gänzlich unirdisch und zeigt so in besonderer
Note den Kunstwillen der Zeit.

Den Stil aber schuf der Geist. Je brünstiger

* Über das Schema vergleiche Maria Grunewald, „Das
Kolorit in der venezianischen Malerei". Berlin, Bruno Cassirer.

sich der Mensch dem Göttlichen hingab, desto gleich-
gültiger ward er gegen die Erscheinungen des
Lebens. Die byzantinische Kunst hat zwar nie
den Grad abstrahierender Kunstform gesucht, wel-
chen etwa das Figürliche im irischen Ornament er-
reicht, sondern stets einen Rest von antiker Fassung
des natürlich-Schönen bewahrt; aber der ist in ihrem
Werk das Sekundäre, und die naturlose abstrakte
Formel wurde, wenn nicht zum überwiegenden,
doch zum prinzipiellen Bildelement.

Das Religiöse, welches sich mit der persönlichen
Verinnerlichung des Einzelnen vertiefte, erhebt sich
in der Potenzierung, die es aus der Gemeinschaft-
lichkeit aller gewinnt, zu einem sublimen Willen,
der allen Kräften gebietet. So ist die bedeutende
Konvention zu begreifen, welche der christlichen
Kunst den erhabenen metaphysischen Inhalt bot,
aber auch den Weg der Bildung bis zur Wieder-
kehr der Naturfreude vorschrieb. Wir haben am
eigenen Schicksal nur die Unfruchtbarkeit einer
akademischen Tyrannis erfahren und noch kaum
bis zum letzten Sinn der oft so einfach gelagerten
Probleme gesonnen. Zwar führte auch in der byzan-
tinischen Kunst die Exklusivität der Regeln zu einer
Verarmung in der Invention, und Formalismus ward
zuletzt Manierismus. Aber der schliessliche Verfall
war nicht eigentlich durch die Konvention ver-
schuldet, welche allein einen jeder Willkür ent-
rückten Stil mit aller Festigkeit der technischen
Grundlagen zu bilden und fortzuführen ver-
mocht hatte. Sie konnte nur nicht durchhalten
(wie einst in Ägypten unter Amenophis IV.),
als wieder ein neuer Geist über die Völker
rauschte; die Entartung kam weil schlechter

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