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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 7
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Friedländer, Max J.: Max Klingers Radierungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0327

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MAX KLINGERS RADIERUNGEN

VON

MAX J. FRIEDLÄNDER

Vor wenigen Monaten — am 18. Februar —
ist Max Klinger sechzig Jahr alt geworden.
Dieser Anlass, über ihn, seine Leistung, seine Stellung
und seinen Ruhm öffentlich zu sprechen, hat, soweit
ich es verfolgen konnte, zur erwünschten Klärung
des Urteils oder gar zur Einigung nicht viel bei-
getragen. Der Pendel schwang weit, von kritik-
loser lokalpatriotisch gesteigerter Huldigung zur
Erwägung, in der sich Bedenklichkeit und Wider-
stand regten. Der Maassstab, mit dem gegenwärtig
Schöpfungen der bildenden Kunst gemessen werden,
schien zu versagen. Manche Kunstfreunde gedachten
etwas verschämt ihrer ehemaligen Klinger-Begeiste-
rung wie einer Tanzstundenpassion, und nicht
wenige schwiegen, um nicht ein Streben ablehnen
zu müssen, dessen hohes Ziel ihnen Respekt ein-
flösst.

Jenseits von Schön und Hässlich ist Klingers
Werk ein Bestandteil der deutschen Bildung ge-
worden, und er hat in der Walhalla des deutschen

Volkes seinen Platz nicht allzuweit von Richard
Wagner entfernt.

Wir wollen im Urteil sauber unterscheiden
zwischen Klingers Ruhm und seiner Leistung. Dieser
Meister hat einige Vorurteile, Neigungen und An-
sprüche des deutschen Publikums so vollkommen
befriedigt, dass der Verdacht entstehen konnte, er
habe es als ein Charlatan darauf angelegt, diesen
Instinkten entgegenzukommen. Solches Misstrauen
ist unberechtigt. Klinger war stets ehrlich und echt,
in seiner Weise sogar naiv; sein Schaffen ist organisch
gewachsen aus einer originellen Begabung. Seine
Phantasie war triebkräftig zur Bildgestaltung, wenn
auch musikalisch erregt, gedanklich belastet und
literarischen Anstössen nachgiebig. Indem er seiner
Natur nach zwischen den Kunstgattungen seinen
Weg suchen musste, hat er Bilder, Radierungen
und Skulpturen hervorgebracht, die auch den
ewig Blinden etwas bedeuten, wie Wagners Musik-
diamen unmusikalischen Ohren die Welt der Töne

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