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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 7
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Friedländer, Max J.: Max Klingers Radierungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0329

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Muster gab ihm wohl den Mut, bei der Augen-
kunst auszuharren, ßöcklin aber war nicht wie
er eine geistige, vielmehr eine sinnliche Natur,
mit einer geniehaften Gabe, im Sinne der Natur
schöpferisch zu sein. Er bedurfte keiner „Studien",
bewegte sich ungehindert und konnte sich gehen
lassen. Eine Schöpfung Böcklins erscheint zu-
nächst als ein Stück Natur, wenn auch fremd-
artiger Natur, eine Schöpfung Klingers dagegen
als ein Kunstgebilde. Klinger folgte dem elemen-
tarischen Schweizer nicht, so sehr er ihn verehrte
und etwa beneidete, er ging seine eigene steinige
Strasse.

In der Geschichte der Radierung wird Klinger
genannt werden als ein Mehrer des Reichs, der
sich zu neuen Zielen neue Wege bahnte. An
Grösse, Glanz und Leuchtkraft, an Schärfe und
Feinheit, Kontraststärke und Nüancenreichtum
oder doch mit dem Beieinander dieser Eigen-
schaften übertreffen seine Platten alles, was früher
geschaffen worden ist. Er hat die geätzte Linie mit
Grabstichelarbeit verbunden, den hauchartig zarten
Strich der kalten Nadel ebenso feinfühlig ver-
wendet wie die reine Durchsichtigkeit der Aqua-
tinta-Flächen und die schummrige rauhe Helldunkel-
wirkung der Schabkunst. Nur den Grat der kalten
Nadel hat er verschmäht. Und gerade das Fehlen
dieser malerischen Zufallswirkungist charakteristisch
für seine Sinnesart, die nichts dem Glück überlassen
wollte.

Mit seiner Steigerung und Mischung der Mittel
gleicht Klinger jenen Komponisten der neueren Zeit,
die das Orchester aufs äusserste bereichert, verstärkt
und nuanciert haben. Und wie Musikfreunde solchen
Fortschritt mitunter als eine zweifelhafte Gabe mit
Bedenken beobachten, hat man gelegentlich in
Klingers blendender und verwickelter Radierkunst
nichts als Virtuosenwerk sehen wollen. Mir scheint,
im wesentlichen trifft der Vorwurf nicht, wenigstens
nicht, solange wir überzeugt bleiben, dass der Meister
mit anderen, also einfacheren Mitteln nie zum Aus-
druck hätte bringen können, was er zu sagen hatte.

Trotz Popularität und überlautem Beifall
schwamm Klinger gegen den Zeitstrom und
musste auf das rechte Verständnis der besten
Kunstfreunde verzichten. Whistler, Liebermann,

Zorn und Israels haben radiert, aber sie stehen zur
Radierung in einem von Grund aus anderen Ver-
hältnis als Klinger. Sie sind Maler, die gelegentlich
Bildgedanken, die sie als Maler konzipiert haben,
für die Radierung transponieren (manchmal nicht
einmal transponieren). Klinger aber ist kein Maler,
der radiert; seine Phantasie arbeitet von Beginn
ihrer gestaltenden Thätigkeit nach den besonderen
Gesetzen einer autonomen Gattung des Bilddrucks,
und zwar einer Gattung, die sie sich geschaffen hat.
Eine Kritik aber, die gedruckte Blätter nicht anders
denn als Naturstudien oder Schatten von Gemälden
betrachtet, hat allenfalls für Whistler und Lieber-
mann, aber nicht für Klinger den Massstab zur
Hand.

Mit seiner „unmalerischen" Festigkeit, Aus-
führlichkeit und Vollständigkeit, mit seiner überT
legten Liniensprache ist Klinger stilgerecht, wenn
auch unzeitgemäss, und seine Traumbilder konnten
sich nicht anders als eben so kristallisieren.

Die Harmonie zwischen der schwerblütigen
Begabung und dem Handwerklichen, zwischen
Gefühl und Arbeitsgang für die Lebensdauer
festzuhalten, ging über Klingers Kraft. In den
Schöpfungen nach 1900 wird Nachlassen der
Spannung und Erstarrung offenbar. Das Pathos
war einmal echt als Ausdruck einer Empfindung,
büsste aber an Echtheit ein, sobald bei eben dem
Gefühl Töne und Gesten, die in ihrer Wirkung er-
probten, wiederholt wurden. Vieles, was der Meister
in jüngerer Zeit hervorgebracht hat, mag nur noch
auf die Erinnerung an eine Vision zurückgehen und
wirkt formelhaft. Die krampfhafte Beschwörung
erotischer Spiele und Abenteuer lässt vermuten, wie
sehr der Alternde fühlt, dass jugendliche Leiden-
schaft ihn einst aufwärts getragen und vor dem
Ikarusschicksal bewahrt habe.

Allzuviele Gefahren drohten dieser künstlichen
Kunst. Nicht nur, dass seine Zeit mit Neigung und
Programm wider ihn stand, nicht nur, dass ihm die
Literaten statt der Kunstfreunde zujubelten, so dass
eine missverstehende Verehrung auf seine Absichten
schädlich zurückwirkte: die Natur rächte sich an
dem hoch Strebenden, dem ihr farbiger Abglanz
nicht genügte, und entzog schliesslich den Gebilden
seiner Phantasie Blut, Atem und Lebenskraft.



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