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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 7
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Walser, Robert: Maler, Poet und Dame
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0354

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seltsamen Lebensweise mitunter starke Bedenken.
Die Achsel hatte er gezuckt, und er hatte es für
das Richtigste gefunden, zu schweigen. Es war ihm
nichts anderes übrig gebheben. Jetzt sass er da und
dachte darüber nach, welche neue Zier und Schön-
heit er über seine Prosa giessen könnte. Seine Prosa
lag ihm am Herzen wie demgewissenhaf ten Gelehrten
die wissenschaftliche Untersuchung, oder wie dem
Geschäftsmann das Geschäft oder wie dem Hand-
werker das Handwerk. Schon in manchem andern
stillen kleinen engen Zimmer hatte der Poet ge-
schrieben und gedichtet, genau wie er es jetzt hier
wieder hat. Es klopfte.

Eine Frau trat herein, die der Poet sehr gut kannte.
Sie wohnte im selben Haus. Sie war unglücklich,
und der Poet kannte die Ursache ihres Unglückes.
Schon oft war sie so zu dem Poeten herzugeschlichen
gekommen, um irgend etwas zu erfahren. Sie kam
wegen eines Menschen, den sie liebte und der fort-
gegangen war. Das war ein Maler und der Poet
kannte den Maler nicht nur sehr gut, sondern war
mit ihm in jeder Hinsicht befreundet. Deswegen kam
die Frau. Sie kam nicht wegen der Person des
Poeten zum Poeten, sondern um vom Poeten über
den Maler irgend etwas zu erfahren. Sie kam zum
Poeten nicht deswegen, weil sie sich für Poesie inter-
essierte oder deswegen, weil sie sich sonderlich für
Malerei interessiert hätte. Nein, sie kam zu ihm,
wegen der Person des Malers, und deswegen, weil
sie wusste, dass die beiden Freunde waren.

„Was macht er? Wie geht es ihm? Schreibi-
er Ihnen? Und was schreibt er Ihnen? Ist er glück-
lich?" So fragte sie. Der Poet, der sich in seiner
Beschäftigung unterbrochen sah, gab zur Antwort:

„Ja, er schreibt mir. So von Zeit zu Zeit. Ob
er glücklich ist, vermag ich Ihnen wahrhaftig mit
zwei Worten nicht zu sagen. Er wird zu gewissen
Stunden glücklich und zu gewissen andern Stunden
unglücklich sein. Ich nehme das so an, denn es ist
dies ja menschlich. Er schreibt mir, dass er wie
ein Ross arbeitet. Er schreibt mir, dass er kämpfe."

„Mir schreibt er nicht", sagte sie.

Der Poet schwieg, indem er sich mit aller Be-
hutsamkeit eine französische Zigarette drehte,
deren Herstellung ihm scheinbar ein Ding von
Wichtigkeit war.

Nach einer Weile sagte die Frau: „Er amüsiert
sich vielleicht; lebt in Gesellschaft von hübschen
Frauen; geniesst das Leben". —

„Das kann schon sein", sagte der Poet, „und
weshalb sollte er das von Zeit zu Zeit nicht thun?

Er wird nicht immer und immer nur ernst und
arbeitsam sein können. Es wird ihn dann und
wann treiben, sich zu zerstreuen, zu erheitern. Ich
nehme an, dass er das thut, und ich finde das begreif-
lich, der Kampf, den er kämpft, ist hart, da wird ihm
zeitweiliges Atemschöpfen nur gut thun. Ewig
eifrig und arbeitsam sein, stumpft ab. Das fühlt
jeder, das fühlt am lebhaftesten der Gewissenhafte."
„Ihnen schreibt er, aber mir nicht."
Der Poet erwiderte: „Soll ich grausam sein
und Ihnen frei sagen, was ich hierüber denke? Sie
werden sagen, dass ich roh bin — meinetwegen.
Ich fühle ja Ihr Leid, gnädige Frau; ich fühle aber
auch das Leid, das Künstlerleid, den Künstler-
schmerz desjenigen, der dort draussen mit der
Künstler-Existenz ringt, und der mein Kamerad,
Kampfgenosse und Freund ist. Das Wort strömt
mir heraus und ich werde Ihnen jetzt allerlei sagen,
und Sie werden mir entweder nie verzeihen, oder
Sie werden mir verzeihen, dass ich Ihnen weh thue.
Beides steht Ihnen frei. Wissen Sie, warum er jetzt
nicht Ihnen, sondern mir schreibt? Für mich ist
das unendlich leicht verständlich. Was soll er Ihnen
schreiben von den Dingen, die ihm jetzt am höch-
sten sind? Er hofft nicht, dass Sie ihn verstehen
würden, und thatsächlich ist sein Misstrauen am
Platz. Sie verstehen sehr gut, dass er ein hübscher,
liebenswürdiger junger Mensch ist, dass es schön
ist, ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden,
dass er Locken auf dem Kopf hat, angenehme
Manieren besitzt u. s. w. Für dieses alles haben
Sie sicher ein ausgezeichnetes Verständnis, aber was
nützt jetzt dem Kämpfer, der mit der Existenz
kämpft, dieses Verständnis? Alles das fällt heute für
ihn kaum in Betracht. Sie sehen die Künstlerperson
sehr gut, aber Sie sehen nicht das Geringste von der
Künstler-Existenz. Sie haben keine Ahnung von
dem Weh, das er erlebt, von den Gefahren, die ihn
bedrohen. Sie wissen nicht das Geringste von
seiner Arbeit und davon, wie er diese Arbeit zu
bewältigen habe. Seine Künstlerfreude ist Ihnen
ebenso fremd wie seine Künstlertrauer. Was ihn
am zartesten und am tiefsten bewegt, ist Ihnen völlig
unbekannt. Mir aber nicht und sehen Sie, das weiss
er. Er weiss, dass ich sein Suchen und sein Sehnen
verstehe, seine Genüsse, seine Qualen, und deshalb
schreibt er mir. Wir korrespondieren übrigens auf
Künstlerart: kurz, derb und bündig. Mitunter
zynisch und spöttisch, aber wir wissen immer ganz
genau, wie wir es meinen. Wir wissen immer ganz
genau um was es sich handelt. Er weiss, dass ich

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