Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Corinths Zeichnungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0398

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
51«



LOVIS COKINTH, STUDIE ZUM VERLORENEN SÜHN. I903

Schraffierung aber ganz aufgegeben wird. Diese
schraffierende Manier taucht vor allem immer wieder
in den Radierungen auf und sie wirkt dort um so
auffallender, als die Striche durch den Druck im
Gegensinn herausgekommen sind, also in einer
Richtung verlaufen — von links oben nach rechts
unten — die der zeichnenden Hand widerspricht.
Zu jenem modernen Kritzelstil der Zeichnung, in
seinen letzten Konsequenzen, wo er auf die aka-
demische Technik ganz verzichtet, hat Corinth sich
nie entschlossen, trotzdem er von der Ausführlich-
keit im Laufe der Zeit zur zusammenfassenden
Notiz übergegangen ist. Auch wo er nur andeutet,
erinnert seine Linie immer noch irgendwie an den
schulmässigen Umriss. Nur weiss er in diese Um-
risse soviel Verve und Anmut, soviel Delikatesse
und Genauigkeithineinzulegen, dass das Schulmässige
einen neuen Sinn bekommt. Dieses ganze Zeichnen
ist vom Atelier ausgegangen und ist eigentlich immer
darin geblieben, doch sind Augenblicke da, wo das
Leben selbst in all seiner Frische den Künstler im
Atelier besucht.

Trotzdem Artistisches in Corinths Zeichnungen
ist, kann man sie nicht eigentlich gepflegt nennen.

Sie werden nie ganz zum Selbstzweck, bleiben
stets Studienhaft, der Künstler vergisst sich zeichnend
selbst nur selten, sondern denkt ein wenig immer
an seinen Zweck. An sein Bild. Ja, vor den Zeich-
nungen erkennt man erst, wie sehr Corinth ein
Maler ist, wieviel ihm die Farbe bedeutet. Oder
nicht eigentlich die Farben, denn er ist ja nicht
Kolorist, sondern die Materie der Ölfarbe, die es
erlaubt in Flächen zu denken und die von der Ab-
straktion befreit. Denn die Abstraktion ist diesem
Künstler offenbar unbequem, alles in ihm drängt
zu sinnlicher Fülle. Die Zeichnung genügt ihm
nicht. Wenn sich trotzdem unter seinen Zeichnungen
viele schöne Blätter und einige Meisterwerke be-
finden, so ist das ein Beweis mehr für die Selbst-
herrlichkeit dieses seltenen Talents. Corinth hat
in gewissen Augenblicken nur zuempfindenbrauchen,
um das Richtige gleich zu finden. Er hat seine
Kunst, auch seine Zeichenkunst, aus vielerlei Ein-
flüssen, aus Überliefertem und Revolutionärem, aus
Altem und Neuem gemischt, aber er hat es stets
naiv gethan und im natürlichen Gefühl seiner
persönlichen Kraft, das will sagen: seines Rechts.
Die Aufschlüsse, die seine Zeichnungen geben, sind

\

'

3 74
 
Annotationen