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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 12
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Waldmann, Emil: Poussin und wir
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0626

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manchmal, oft, die reinsten Visionen einer sinnlich-
geistigen Welt verwirklicht hat, konnte natürlich nicht
immer die Schöpferkraft aufbringen, um seinen Ge-
sichten naive Gestalt zu verleihen, sondern wurde oft
zum rechnenden Verstandeskünstler, weil er sich sonst
nicht mehr zu helfen wusste bei seiner Sehnsucht nach
der friedevollen Antike und bei seinem Verlangen nach
dem Heroischen. Wir dürfen das nicht übersehen, er
ist oft akademisch und blutlos und kalt; sehr kalt. Nicht
jene goldene Kälte ist gemeint, die oft den Dingen eignet,
die sich vollendet haben — die Kälte von RafFael und
Ingres und Goethes Tasso; — sondern die Verstandes-
kälte, die rechnet und wagt und zusammensetzt und
von hier und von dort ihre Elemente nimmt. Ein Mann,
der sein Bestes leisten wollte und die Folge der sieben
Sakramente hervorbrachte, langweilig und rezepthaft,
wie sie nun einmal sind, soll uns nicht als unvergleich-
liches Genie hingestellt werden. Es waren zwei Seelen
in seiner Brust. Ein leidenschaftliches Herz und ein
leidenschaftliches Gefühl, grössterEmpfindungen fähig —
Und daneben ein Doktrinär, der seine Ideen manchmal
so zu Tode hetzte, wie die neueren Kunsthistoriker ihre
Kompositionsanalysen an Poussin zu Tode hetzen. Diese
Mischung von Leidenschaft und Doktrin kann gefährlich
werden, wir in Deutschland wissen ein Lied davon zu
singen, seit Dürer, und dieselben Leute, die an Dürer
aus diesem Grunde, wie sie sagen, nicht herankönnen,
schwärmen jetzt maasslos für Poussin, trotzdem Dürer
wohl nichts so Blutleeres gemacht hat, wie Poussins Sa-
kramente. — Natürlich wird dem Zweifler und Skep-
tiker, der nun nicht rückhaltlos den ganzenPoussin in den
Himmel hebt, wohlwollend (im besten Falle) bedeutet,
diese Mischung sei eben gerade das Französische an
Poussin. Meier-Graefe hat einmal geschrieben, man
müsse Poussin anbeten um Paris lieben zu können.
Das war natürlich falsch und lag genau umgekehrt —
man muss Paris, wo Poussin eigentlich nie war und dann
höchst unglücklich, lieben um Poussin anbeten zu können.
Er ist sicher eine der feinsten Blüten am Baume der
französischen Kultur des siebzehnten Jahrhunderts. Aber
doch typisch französisch und wenn nun von uns ver-
langt wird, auch das Unschöpferische und Kalte und die
raison an ihm zu bewundern, weil das gerade mit zu
diesem Franzosentum gehöre, so liegt hier meines Er-
achtens wieder jene Gefühlsanarchie vor, die nur allzu-
sehr in Deutschland geherrscht hat. Jenes Allesver-
stehenwollen, Allemgerechtwerdenkönnen, das nie den
Mut findet zu sagen: Hier stehe ich, ich kann nicht
anders. Man braucht keinen Kunstchauvinismus zu
treiben und kann es doch für nötig halten, an irgend
eine.m Punkte auf das Vorhandensein der unüberschreit-
baren Grenze zwischen Romanischem un d Germanischem
hinzuweisen. Schon Ingres wird uns manchmal schwer,
der uns doch näher liegt. Poussins manchmal eisige
Doktrin wird uns nie das Grösste bedeuten können,
weil germanisches Kunstempfinden, trotz Dürer und

deutscher Gedankenkunst, das Gestellte, Bühnenmässige,
Theaterhafte, von manchen Poussinbildern (das auch
GrautofF garnicht leugnet), das auf kaltem Wege Ent-
standene immer für Akademie halten wird. Wir wollen
uns keine falschen Ideale einreden lassen, die für uns
keine Ideale sind. Delacroix und Poussin waren Frank-
reichs grösste Künstler. Sicher. Poussin das Fundament,
auf dem alles ruht, der für die Entwicklung der fran-
zösischen Malerei notwendigste Künstler. Alles zuge-
geben und dazu noch freiwillig hinzugegeben ein grosses
Stück Liebe und Verehrung. Aber die Schatten und Be-
dingtheiten nicht übersehen! Meier-Graefe findet Pous-
sins „Bacchanal" besser als Tizians und Poussins „Par-
nass" eigentlich auch besser als RafFaels. Das mag sich
verhalten wie es immer wolle und vom Standpunkt
eines Franzosen aus kann man vielleicht manches dafür
sagen. Aber wir wollen doch nicht vergessen, dass
Tizian und RafFael erst einmal dagewesen sein mussten,
um Poussins,, Parnass,, und „Bacchanal" überhaupt zu er-
möglichen und der Kunsthistoriker hat die Pflicht auf
die Relativität alles Schöpferischen hinzuweisen. Die
relativ grössere Schöpfung steckt eben doch in RafFaels
„Parnass", so schön und so traumhaft das auch sein mag,
was Poussin draus machte und weiterdichtete. Warum
gelingt es denn keinem der Poussin-Enthusiasten, eine
zusammenfassende Charakteristik seines Wesens zu
schreiben, die nur positiv wäre, ganz ohne „Hilfskon-
struktionen"? Was GrautofFim ersten Kapitel über ihn
schreibt und was von Bewunderung und Liebe getragen
ist, betont doch schliesslich am wortreichsten seinen
Kunstverstand und seine Kunstintelligenz, mit der er
sich alles unterjocht und „schliesslich finden wir in ihm
die Grundeigenschaften des französischen Volkes: scharf-
sinnige Klugheit, die nebelhaften Unklarheiten feind ist;
regelnde Ordnung, die ökonomisch waltet; belebende
Sinnlichkeit, die alles Seiende schauend und empfindend
empfängt; und eindämmende Besonnenheit, die alle
Gaben des Geistes im Gleichgewicht hält." Das ist ein
bisschen wenig Schöpferisches für ein Genie ersten
Ranges und wird dem Manne auch nicht ganz gerecht.
Von Delacroix Hesse sich mehr Unreflektiertes sagen.
Und dass wir in ihm jene Grundeigenschaften des fran-
zösischen Volkes finden, macht uns auch nicht glücklicher.
Es sind nur gewisse, willkürlich herausgegriffene Züge
dieses Volkes und man kann ganz anders denken über
diese Nation, wie Goethe, der erstaunt war über die
Extreme im französischen „Charakter, der in nichts
Maass kennt". Wenn er sonst nichts wäre, als dieses
typisch Französische, dann wäre es nicht viel. Aber wie
gesagt, das sind Hilfskonstruktionen, nötig, weil das
Positive dieses Mannes, das ich sehr hoch stelle, so
schwer zu schildern ist, ohne gleich auch seine Schatten
aufzudecken. Er selbst hat von sich gesagt: „je n'ai rien
neglige" und das ist im Guten wie im Schwachen doch
beinahe das Gerechteste, was über ihn gesagt ist. Er war
gewissenhaft und ein grosser Charakter, der alles aus sich

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