KARL WALSER, SUPRAPORTE IM VORTRAGSAAL DES KLUBHAUSES „ZUR GEDULD" IN WINTERTHUR
N E U E WANDMALEREIEN KARL WALSERS
VON
KARL SCHEFFLER
Was Walser aufwänden in vornehmen Bürger-
häusern darstellt, erinnert immer irgendwie
an die Schäferszene. Und damit auch an das acht-
zehnte Jahrhundert, an ßoucher, Watteau, an die
kultivierte Salondekoration des Rokoko. Walsers
Gestalten erscheinen durch das Gesetz des Orna-
ments wie auf eine aus Baum, Bank und etwas
Erdboden bestehende Insel gebannt, sie sind einem
System arabeskenhafter Linienführungen eingefügt,
sie leben innerhalb einer Koloristik, die ebensosehr
der Tapisserie wie der Natur entnommen ist, und
sie bewegen sich mit Gesten, die etwas Bühnen-
mäßiges haben. Zudem ist ein leiser Einschlag
von Chinoiserie zu spüren, der nun einmal zum
Rokoko gehört. Doch sind Walsers junge Frauen
und Mädchen, die mit einem Buch in der Hand
dasitzen, den Tee bereiten, mit dem Sonnenschirm
spazieren oder mit jungen Männern flirten, nicht
Geschöpfe des Eklektizismus, sondern höchst leben-
dige, moderne junge Damen, die nicht die zärt-
liche Lüsterheit des Rokoko zur Schau tragen,
sondern ein gesetztes Wesen bürgerlicher Wohl-
erzogenheit. Und die jungen Männer, die in dieser
Welt dekorativen Abglanzes der Wirklichkeit leben,
tragen Sakkoanzüge, Umlegekragen und flotte kleine
Strohhüte. Es ist, als seien mit lyrischem Reim-
klang die Sonntagsausflüge lebensfroher junger Groß-
städter gemalt, und als habe der dekorative Schwung
der Linien und Farben die Realität ins Allegorische
gewendet. Die Frauen haben etwas vom „kleinen
Mädchen" und die jungen Männer etwas vom
Handlungsgehilfen.:!:
* S. die Wandmalereien in den Häusern Andreae und
Mendelssohn, Berlin. Abbildungen im XIV. Band, S.267 u.fF.
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N E U E WANDMALEREIEN KARL WALSERS
VON
KARL SCHEFFLER
Was Walser aufwänden in vornehmen Bürger-
häusern darstellt, erinnert immer irgendwie
an die Schäferszene. Und damit auch an das acht-
zehnte Jahrhundert, an ßoucher, Watteau, an die
kultivierte Salondekoration des Rokoko. Walsers
Gestalten erscheinen durch das Gesetz des Orna-
ments wie auf eine aus Baum, Bank und etwas
Erdboden bestehende Insel gebannt, sie sind einem
System arabeskenhafter Linienführungen eingefügt,
sie leben innerhalb einer Koloristik, die ebensosehr
der Tapisserie wie der Natur entnommen ist, und
sie bewegen sich mit Gesten, die etwas Bühnen-
mäßiges haben. Zudem ist ein leiser Einschlag
von Chinoiserie zu spüren, der nun einmal zum
Rokoko gehört. Doch sind Walsers junge Frauen
und Mädchen, die mit einem Buch in der Hand
dasitzen, den Tee bereiten, mit dem Sonnenschirm
spazieren oder mit jungen Männern flirten, nicht
Geschöpfe des Eklektizismus, sondern höchst leben-
dige, moderne junge Damen, die nicht die zärt-
liche Lüsterheit des Rokoko zur Schau tragen,
sondern ein gesetztes Wesen bürgerlicher Wohl-
erzogenheit. Und die jungen Männer, die in dieser
Welt dekorativen Abglanzes der Wirklichkeit leben,
tragen Sakkoanzüge, Umlegekragen und flotte kleine
Strohhüte. Es ist, als seien mit lyrischem Reim-
klang die Sonntagsausflüge lebensfroher junger Groß-
städter gemalt, und als habe der dekorative Schwung
der Linien und Farben die Realität ins Allegorische
gewendet. Die Frauen haben etwas vom „kleinen
Mädchen" und die jungen Männer etwas vom
Handlungsgehilfen.:!:
* S. die Wandmalereien in den Häusern Andreae und
Mendelssohn, Berlin. Abbildungen im XIV. Band, S.267 u.fF.
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