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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 1
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August Gaul
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https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0058

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Meister, wie die Dürer, die Veit Stoß und die anderen
Nürnberger Künstler der Renaissance, mit denen
der in dem Dörfchen Groß-Auheim, unweit Hanau
Geborene auch sonst manche Ähnlichkeit hat.

Derselbe liebenswürdige Humor, der in den
Elsheimers und den fränkischen Meistern lebt,
lebt auch in Gauls Werken. Der gesunde Instinkt
der Kinder läßt sie die Tiere an dem Hardenberg-
Brunnen streicheln. Jede seiner kleinen Tier-
plastiken möchten wir mit zärtlicher Hand lieb-
kosen: sie gehen uns zu Herzen, weil der Meister
ihnen seine Liebe eingeflößt hat, denn nur der
Geist kann Geist erzeugen. Die ruhige Größe
unseres verewigten Freundes drückt jeder seiner
Arbeiten, jeder Zeichnung, jedem Entwürfe seinen
Stempel auf, sie gibt ihnen die Harmonie, ihren
vornehmen Stil. Jede, auch die kleinste Arbeit
hat Stil, Gauls Stil — ohne stilvoll zu sein; —
das macht die einzige Größe unseres vollendeten
Freundes.

Aber, wird man mir einwerfen, er hat ja nur
Tiere geschaffen. Nimmt ihm das etwas von seinem
Werte? Nicht in der Wahl des Gegenstandes,
sondern nur in der Auffassung des Gegenstandes
liegt die Größe des Künstlers. Was uns Gaul zu
sagen hatte, legte er in seine Tiere. „In der Be-
schränkung zeigt sich erst der Meister und das
Gesetz nur kann uns Freiheit geben". Aber jeder
wahre Künstler ist autonom, ist sein eigener Ge-
setzgeber, und, indem sich Gaul an dem selbst-
gegebenen Gesetz mit rigoroser Strenge hielt, hat
er sich zu der inneren Freiheit durchgerungen,
die sich in dem winzigsten Tier, das er modelliert,
ebenso zeigt wie in seinem letzten, großen Werke,
dem Gorilla.

Als ich den todkranken Freund vor einigen
Wochen besuchte, fand ich ihn vor seinem Atelier

auf einem Ruhebett liegend, die letzten Strahlen
der untergehenden Septembersonne genießend.
Kaum hörbar forderte er mich auf, im Atelier den
Affen anzuschauen. Als ich davorstand, konnte
ich mich der Tränen nicht erwehren. Der Schöpfer
dieses gewaltigen Werkes sollte uns entrissen wer-
den? Die Entwicklung eines ganzen Lebens, die
Entwickelung vom Schüler zum Meister liegt
darin. Die im Jahre 1897 nach der Natur model-
lierte Skizze wurde erst in diesem Jahre lebens-
groß in Stein übertragen, und bis in die letzten
Tage vor seinem Tode hat er daran gearbeitet.
Zu schwach, um selbst den Meißel zu schwingen,
zeichnete er seinem Gehilfen mit Bleistift auf dem
Stein vor, was er wegzuhauen hätte.

Mitten auf seinem Lebenswege und auf der
Höhe seines Schaffens hat die unerbittliche Parze
seinen Lebensfaden abgeschnitten. Dürfen wir
deshalb mit der Vorsehung hadern? Nein! Wir
dürfen nicht klagen, wir müssen dankbar sein, daß
sie unserem lieben Meister vergönnt hat, sich bis
zum Gipfel durchzuringen.

Treu und redlich hast Du mit dem Dir anvertrau-
tem Pfunde gewuchert. Daher durftest Du beruhigt
und sanft zum ewigen Schlaf eingehen. Trauernd
— nicht wehklagend — umstehen wir Deine Bahre
und rufen Dir den letzten Scheidegruß zu: heut
zu Deinem 53. Geburtstage, den Du nicht erleben
solltest, wir sind eines großen Künstlers, eines
edlen Menschen beraubt, aber Dein Werk wird
bleiben zu Deinem Ruhm, uns aber als leuchten-
des Vorbild eines vom idealsten Streben erfüllten
Lebens I

Und nun laßt uns Abschied nehmen von dem
lieben Freunde, von dem teuren Manne mit dem
stolzen Worte unseres großen Dichters: „Denn er
war Unser!"
 
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