RHEINISCH. ERSTE HÄLFTE DES 15. JAHRHUNDERTS
geheimnisvolle Bewegtheit. Hinzukommt, daß der
Künstler völlig im Geiste der durchgebildeten höfi-
schen Kultur der Zeit und ihres betont aristo-
kratischen Wesens empfand, und daß dadurch sein
Wirklichkeitssinn wesentlich verfeinert und vom
Goldglanz ritterlicher Romantik durchsonnt ward.
Er stand noch auf dem festgegründeten frucht-
baren Boden einer alten großen Überlieferung und
fühlte das Einzelne wie das Ganze mühelos in
Eines. So, nicht nur durch einen in Übung er-
worbenen und geläuterten Geschmack, erklärt es
sich auch, daß all die bestimmt gebildeten Einzel-
heiten der mit ornamentalem Sinn geordneten
Haartracht, der Kleidung, der Tiere unter den
Füßen und des Baldachins die monumentale Wir-
kung ungestört lassen und als eine festliche Zier
dem großen Gesamtgefüge sich eingliedern. Man
wird es immer sehr bedauern, daß neben anderen
Teilen, wie zum Beispiel der linken Hand des
Sohnes und der Architektur des Baldachins auch
die linke Hand des Ritters, die nach einer Sitte
der Zeit in das über die Brust laufende Mantel-
band griff, zerstört ist. Sie muß, nach den noch
erhaltenen Bestandteilen der rechten Hand zu
schließen, eine Meisterschöpfung gotischer Hand-
darstellung gewesen sein.
Als früheste Arbeit schwäbischen Ursprunges
nennen wir aus dem Besitz des Museums einen
Holzkruzifixus aus der Zeit um 1200. Leider feh-
len Glieder der Finger, die Füße und das Kreuz.
Auch ist die Bemalung erneuert. Allein selbst
so noch haben Geist und Form des aus Linden-
holz geschnittenen einfachen Werkes Macht über
den Beschauer. Die ruhige Bildung der schlanken
Gliedmaßen gewinnt, da sie nicht von einem sehr
genauen Wissen um die körperliche Wirklichkeit
beschwert und auf naturalistische Seitenwege ge-
lockt wird, etwas Symbolhaftes und atmet die
Milde der Erlösung von Leid und Tod. In dem
erwähnten rheinischen Kruzifix wird Christus als
der sieggekrönte verklärte Held gezeigt. Auch
aus der schwäbischen Darstellung des Gekreuzig-
ten leuchtet Verklärung, aber sie hat nicht die
hoheitsvolle, ins Großartige gehende Gebärde der
rheinischen Arbeit, sondern ist weicher und dem
Schlichtmenschlichen näher. Als eine ornamen-
tale Kostbarkeit verdient das symmetrisch gelegte
Lendentuch besondere Erwähnung. — Klingt in
dem eben gewürdigten Kruzifixus schon etwas
von der milden lyrischen Gefühlsweise schwäbi-
scher Kunstart an, so fand diese in der überaus
köstlichen schwäbischen Maria der ersten Hälfte
des fünfzehnten Jahrhunderts, die stehend, mit dem
Kind auf dem Arm, dargestellt ist, geradezu typi-
sche Krystallisierung. Sie macht einen genremäßi-
gen Eindruck — etwa im Sinne einer feinerfun-
denen Idylle —, obwohl ihr Krone und Szepter
(dieses ging leider verloren) eine gewisse Hoheit
sichern möchten. Das ist bezeichnend für den
gern ins Liebliche einlenkenden schwäbischen
Form willen. Er erlebt in dieser Verherrlichung
kindlich-reiner, blumenzarter und scheuer Hold-
seligkeit einen seiner bezauberndsten Triumphe.
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geheimnisvolle Bewegtheit. Hinzukommt, daß der
Künstler völlig im Geiste der durchgebildeten höfi-
schen Kultur der Zeit und ihres betont aristo-
kratischen Wesens empfand, und daß dadurch sein
Wirklichkeitssinn wesentlich verfeinert und vom
Goldglanz ritterlicher Romantik durchsonnt ward.
Er stand noch auf dem festgegründeten frucht-
baren Boden einer alten großen Überlieferung und
fühlte das Einzelne wie das Ganze mühelos in
Eines. So, nicht nur durch einen in Übung er-
worbenen und geläuterten Geschmack, erklärt es
sich auch, daß all die bestimmt gebildeten Einzel-
heiten der mit ornamentalem Sinn geordneten
Haartracht, der Kleidung, der Tiere unter den
Füßen und des Baldachins die monumentale Wir-
kung ungestört lassen und als eine festliche Zier
dem großen Gesamtgefüge sich eingliedern. Man
wird es immer sehr bedauern, daß neben anderen
Teilen, wie zum Beispiel der linken Hand des
Sohnes und der Architektur des Baldachins auch
die linke Hand des Ritters, die nach einer Sitte
der Zeit in das über die Brust laufende Mantel-
band griff, zerstört ist. Sie muß, nach den noch
erhaltenen Bestandteilen der rechten Hand zu
schließen, eine Meisterschöpfung gotischer Hand-
darstellung gewesen sein.
Als früheste Arbeit schwäbischen Ursprunges
nennen wir aus dem Besitz des Museums einen
Holzkruzifixus aus der Zeit um 1200. Leider feh-
len Glieder der Finger, die Füße und das Kreuz.
Auch ist die Bemalung erneuert. Allein selbst
so noch haben Geist und Form des aus Linden-
holz geschnittenen einfachen Werkes Macht über
den Beschauer. Die ruhige Bildung der schlanken
Gliedmaßen gewinnt, da sie nicht von einem sehr
genauen Wissen um die körperliche Wirklichkeit
beschwert und auf naturalistische Seitenwege ge-
lockt wird, etwas Symbolhaftes und atmet die
Milde der Erlösung von Leid und Tod. In dem
erwähnten rheinischen Kruzifix wird Christus als
der sieggekrönte verklärte Held gezeigt. Auch
aus der schwäbischen Darstellung des Gekreuzig-
ten leuchtet Verklärung, aber sie hat nicht die
hoheitsvolle, ins Großartige gehende Gebärde der
rheinischen Arbeit, sondern ist weicher und dem
Schlichtmenschlichen näher. Als eine ornamen-
tale Kostbarkeit verdient das symmetrisch gelegte
Lendentuch besondere Erwähnung. — Klingt in
dem eben gewürdigten Kruzifixus schon etwas
von der milden lyrischen Gefühlsweise schwäbi-
scher Kunstart an, so fand diese in der überaus
köstlichen schwäbischen Maria der ersten Hälfte
des fünfzehnten Jahrhunderts, die stehend, mit dem
Kind auf dem Arm, dargestellt ist, geradezu typi-
sche Krystallisierung. Sie macht einen genremäßi-
gen Eindruck — etwa im Sinne einer feinerfun-
denen Idylle —, obwohl ihr Krone und Szepter
(dieses ging leider verloren) eine gewisse Hoheit
sichern möchten. Das ist bezeichnend für den
gern ins Liebliche einlenkenden schwäbischen
Form willen. Er erlebt in dieser Verherrlichung
kindlich-reiner, blumenzarter und scheuer Hold-
seligkeit einen seiner bezauberndsten Triumphe.
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