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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 3
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Friedländer, Max J.: Pieter Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0100

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Die vergleichende Betrachtung der Gemälde und
Zeichnungen bestätigt im groben und großen, daß
Bruegel den Weg ging, der a priori zu erwarten
ist, den die selbständigen Meister gehen, nämlich
den Weg vom Zeichnerischen zum Malerischen,
vom Kleinen zum Großen, vom Vereinzelten zum
Zusammenhängenden.

Ich erinnere an die Zeitumstände und den
Stammescharakter, an den Boden, dem Bruegel
erwuchs, an die wenigen Lebensdaten, an die Reise,
an das Aufnehmen landschaftlicher Merkwürdig-
keiten zu Beginn, an die Bemühung im Dienste
des Verlegers, den Höllenspuk Boschs neu zu be-
leben, an den Druck, den die Stilgesetzlichkeit des
Kupferstichs und der Bildhunger des Volkes auf
sein Schaffen ausübten.

Je kräftiger der tiefste Instinkt des Meisters,
die Liebe zur Wirklichkeit, sich regte, um so mehr
entwichen und entschwanden Gedanklichkeiten,
Willkürlichkeiten und Reminiszenzen. Zugleich
wurde der Zeichner mehr und mehr Maler — ohne
je ganz Maler zu werden.

Der Zeichner begrenzt, isoliert, umreißt, löst
den Organismus heraus aus seiner Umwelt, zer-
legt das Weltbild, indem er es Stück für Stück
aufnimmt und es in neuen Zusammenhang fügt,
der Maler hingegen greift das Weltbild als ein
Ganzes und reproduziert es in seinem kontinuier-
lichen Zusammenhang. Auf dem Papierblatte sind
die Dinge versammelt, die Gemäldefläche besteht
aus den Dingen. Der Zeichner ist gedanklich ab-
strakt, aktiv, dem Literarischen nahe, der Maler
dagegen sinnlich, empfänglich und dem sichtbaren
Leben zugewandt. Der Zeichner ist an kleines
Format und an kleinen Figurenmaßstab gebunden.
Format aber und Maßstab stehen in Wechsel-
beziehung zum Vortrage, zum Standpunkte, zum
Urteil über die Dinge, zur Wertung der Dinge
und damit zur Geistesart des Gestaltenden.

Bruegel begann als Zeichner und endete als
Maler. Seine Natur strebte der Malkunst zu, und
die Übung der Malerei förderte die Entfaltung
dessen, was in ihm war.

Bruegel geht bei der Figurenkomposition von
einem Satze der Volkssprache, einem Begriff aus
und sammelt das dazu passende Material an Bild-
motiven aus der Beobachtung.

Er verfährt aufzählend, legt den abstrakten
Gedanken auseinander in möglichst viele konkrete

Fälle und Beispiele. Mit einer quantitativ frucht-
baren Erfindung erschöpft er das Thema, mit viel-
teiligem Unterhaltungsstoff die Lern- und Neugier
des schaulustigen Publikums befriedigend. Als
Zeichner geht er von der bewegten Einzelfigur
aus und sät, dezentralisierend und koordinierend,
gleichwertige Glieder über die Fläche. Er wirkt
weniger mit dem Bildganzen als mit drolligen,
spaßhaften und drastischen Einzelheiten. Die Dar-
stellung ist nicht mit einem Blick aufzunehmen,
sondern wird gleichsam gelesen. Die Einheit liegt
hauptsächlich in dem herrschenden Gedanken und
in der Räumlichkeit, dem von oben gesehenen
Bühnenplatz. Die Glieder sind zusammengefügt
wie Beeren zu einer Traube oder sie stehen locker
beieinander wie die Figuren auf dem Schach-
brette.

Die warnende, an den Pranger stellende, pam-
phletistische Flugblattbildlichkeit ist durchsetzt mit
beobachtetem Leben. Der Hang zum Genre ist
von Anfang an zu spüren, wenngleich das Irdische
nach dem Vorbilde Boschs mit dem Himmel und
namentlich mit der Hölle in Verbindung gesetzt
und nach Gedanken geordnet ist.

Als Bruegel zu malen begann, soweit wir sehen,
im Jahre 1558, knüpfte er keineswegs an irgend-
welche Tradition der Malübung an, sondern führte
seinen Bilderbogenstil in das Malwerk hinüber und
wandelte ihn erst nach und nach. Während seine
temperamentvolle Sinnlichkeit, seine Lust am Trieb-
haften das Gedankliche und Didaktische austilgte,
gewann er mit dem Pinsel die Schlichtheit der
Natur. Er ging aus, um Unterbaltungsstoff zu
suchen und fand — das Leben. Allmählich paßte
er Format, Maßstab, Technik und Komposition
der neuen Auffassung an. In den ersten .Gemälden
sind die Umrisse noch linienhaft scharf markiert.
Dieses Rudiment des Zeichenstils wurde zuerst ge-
tilgt; andere Rudimente schwanden später, einige
niemals.

Man braucht nur das Berliner Gemälde der
„Sprichwörter" von 1559 mit der aus demselben
Jahre stammenden Zeichnung des Jahrmarkts von
Hoboken — bei Herrn H. Oppenheimer in Lon-
don — zu vergleichen, um einzusehen, daß Bruegel
nicht etwa den Entschluß faßte, seine Erzählungs-
weise zu ändern, als er zu malen anfing. Die
Wandlung vollzog sich im Unbewußten, wie über-
haupt die Begabung, nicht die Absicht sich ent-

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