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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 6
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Scheffler, Karl: Reise in Süddeutschland, [2] : München
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https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0231

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Meistern als Lehrer gewesen sind, daß sie nicht
im allein gültigen Sinne Geschichte gemacht haben.
Von Piloty, Kaulbach, Achenbach, Rottmann, Stuck,
Lenbach und ihren Genossen wird man nur noch
registrierend sprechen. Was natürlich nicht aus-
schließt, daß auch in ihren Bildern, daß vor allem
in den Bildern mancher Nazarener, Züge sind, die
relativ genommen ihre Bedeutung haben.

Die eigentlich lebendigen Kunstwerke befinden
sich in den kleinen Seitenkabinetten. Indem man
diese durchwandert, fragt man sich aber, warum
so schöne Bilder eigentlich nicht auch drüben in
der Staatsgalerie aufgestellt worden sind. Ja richtig,
der historische Trennungsstrich! Aber gibt es
innerhalb der wirklich lebendigen Kunst denn
überhaupt Trennungslinien? Sind alle diese Linien
nicht mehr dem Verstand als dem Gefühl plau-
sibel? Dieses, das Gefühl, die stärkste Kraft des
Kunsturteils, will doch offensichtlich, daß alle
guten Bilder beisammen sind, es will ein Museum
für gute und — wenn es denn und solange es
nicht anders sein kann — eines für schlechte Kunst.
Das Gefühl möchte die schönen Bilder von Courbet,
Corot, Constable usw., die die Neue Pinakothek
besitzt, neben denen der Impressionisten sehen;
man stellt sich vor, daß drüben in der Staats-
galerie diesen Bildern die Stelle der entbehrlichen
Münchner Lokalkunst eingeräumt würde, und
man wird angesichts eines solchen (möglichen)
Museums moderner Meisterwerke ganz aufgeregt.
Denn so ist ja der Mensch: je mehr er getan sieht,
desto mehr möchte er getan sehen. Und in der
Staatsgalerie wird der Wunsch nach dem Voll-
kommenen nun einmal erregt.

Die Kabinette enthalten höchst bemerkenswerte
Werke französischer Malerei von Gericault, Cour-
bet, Corot, Delacroix, Troyon, Daumier und Con-
stable (der wohl mit genannt werden darf), dar-
unter einige Meisterwerke von hohem Rang.
Weiterhin tritt man vor eine herrliche Menzel-
wand, auf der u. a. der „Blick aus dem Fenster
des Berliner Schlosses", die „Fabrik im Mond-
schein" und die „Schwester an der Tür" hängt.
Von Burnitz finden sich gute Landschaften, von
A. v. Keller reizende Gesellschaftsbilder (freilich
werden diese Arbeiten etwas überschätzt), von
Malern der Leiblschule, von Mayer-Graz und Th.
Alt, sind gute Schulbilder da, und fein gewählte
Proben von Diez, Oberländer, W. Busch, Spitz-

weg, Schwind und Steinle. Eindrucksvoll sind
zwei Bildnisse und ein Dragonerbild Ferdinand
von Rayskis. Sehr delikat als Zeichnung und
Malerei ist ein kleines Damenbildnis Waldmüllers;
die Landschaft Caspar Fredrichs gehört zu seinen
glücklichsten Niederschriften lyrisch erfaßter Natur;
und als höchst interessante Kuriosität ist eine
Darstellung des Rheinfalls bei Schaffhausen anzu-
sprechen, die ein unbekannter Maler um 1760 mit
dem heitersten, geistreichsten und natürlichsten
Manierismus, den man sich vorstellen kann, ge-
malt hat.

Die Widersprüche innerhalb der Neuen Pina-
kothek können zum Teil vielleicht ausgeglichen
werden, wenn zur Tat wird, was im Vorwort
zum Katalog der Neuen Staatsgalerie angedeutet
ist: wenn ein Anbau gemacht wird, worin die ganze
moderne Kunst in schöner Folge und guter Aus-
wahl gezeigt wird. Die Zeitverhältnisse werden
diesen Plan allerdings wohl weit noch hinaus-
schieben.

Wie dem aber auch sei: wir haben Ursache
uns des in wenigen Jahren Erreichten zu freuen,
es geht nicht nur München und Bayern an, son-
dern das ganze Reich, ja alle Welt. Eben darum
gehen aber auch die Pläne der Museumsleitung
alle Kunstfreunde an. Und so werden wir denn
auf die Unternehmungen Dörnhöffers mit großer
Aufmerksamkeit blicken und ihn für jeden neuen
Erfolg so dankbar sein, wie wir ihm und seinem
Vorgänger für das schon Geleistete dankbar sind.

Vom Residenzmuseum war in diesen Heften
schon die Rede. * Angesichts seiner Zimmer-
fluchten ist es nicht recht verständlich, warum
man von einem Museum spricht, warum man
überhaupt soviel von Schloßmuseen auch dort
spricht, wo eine Verquickung von Schloß und
Kunstgewerbemuseum, wie etwa in Berlin, nicht
stattgefunden hat. In München handelt es sich
einfach darum, daß die Residenz der ehemaligen
bayrischen Fürsten dem Publikum geöffnet worden
ist, nicht anders wie in Würzburg das ehemalig
fürstbischöfliche Schloß oder wie in Potsdam die
Schlösser der preußischen Könige. Das Wort
Museum macht die Sache nicht besser, macht sie
nur unlebendiger.

Man empfindet es wohltätig, daß die Münchner
* Kunst und Künstler. Jahrgang XIX. Seite 253 u. ff.

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