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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 6
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W. Weisbach, Das Barock als Kunst der Gegen-
reformation. Berlin, bei Paul Cassirer.

Der Verfasser geht vom seelischen Gehalt gewisser Kunst-
werke aus, und dadurch gehört seine Arbeit zu einer bis-
her kleinen Buchgruppe unserer Fachliteratur. Das Seelische
wird nicht in erster Linie wegen einzelner Künstler, son-
dern im Hinblick auf eine Epoche untersucht. Es handelt
sich um die Frage, inwiefern die Malerei und Skulptur der
Barockzeit, und zwar vorwiegend in den romanischen Län-
dern, Kunst der Gegenreformation mit Recht genannt wer-
den darf. Für die Untersuchung der seelischen Werte schuf
sich Weisbach eine leitende, kulturgeschichtliche Grundlage
im Sinne Jacob Burckhardts und Anton Springers. Die Lite-
ratur der Zeit wird herangezogen, besonders bedeutungsvoll
die „Geistlichen Übungen" Loyolas und die Bekenntnisse
der heiligen Theresa. In Bezug auf den Naturalismus der
Anschauungsweise berühren sich die Gesinnungen der Mystik
und Loyolas. Nur in diesem Punkte. Im übrigen vertritt
der Jesuitismus die aktive, streitbare, heroische Seite der
Gegenreformation, die Mystik die passive, innerliche, der
Welt abgewandte. Das heroische Ideal wird näher erörtert
im Verhältnis zum europäischen Humanismus und zur Gegen-
reformation. Die Kirche, der es nicht gelang, den Huma-
nismus abzuwehren, ließ auch den sinnlichen Strom dieser
Lebensauffassung in ihrer Bewegung mittreiben. Das Aus-
druckselement der Grausamkeit erscheint nicht ohne Zu-
sammenhang mit dem Bedürfnis und Drang der Zeit nach
sinnlichen Emotionen.

Gemäß solcher kulturgeschichtlichen Grundlegung unter-
nimmt es Weisbach, die gleichen, seelischen Elemente, das
Heroische, Mystik, Erotik, Grausamkeit (Asketik) in der da-
maligen Malerei und Skulptur aufzusuchen und nachzuweisen.
Beredte Kunstschilderungen gewinnen, nach meinem Dafür-
halten, besondere Wärme und Anschaulichkeit bei der Per-
sönlichkeit Grecos und einigen Werken Berninis; aber auch
Murillos erhabene Persönlichkeit findet in diesem Buch
wieder tieferes Verständnis, als es sonst zeitüblich ist. Das
Unwahre der damaligen, italienischen Malerei im Gegen-
satz zur spanischen wird jetzt zwar anders ausgedrückt, als
einst bei Burckhardt, ist aber auch hier nicht zu verkennen,
namentlich wenn man neben Weisbachs zeitgeschichtlichem
Standpunkt, auch den überzeitlichen als berechtigt und not-
wendig annimmt und erwägt. Eindringliche, schöne Wieder-
gaben schmücken das Buch, dessen Gehalt sich selbstver-
ständlich in einem kurzen Bericht nur andeutungsweise
skizzieren läßt. Ollendorff.

Paul Erich Küppers: Der Kubismus. Verlag von Klink-
hardt und Biermann, Leipzig. — Daniel Henry. Der Weg
zum Kubismus. Delphin-Verlag, München.

Diese beiden Bücher behandeln jenen kühnen Vorstoß,
der Vielen als eine skurrile Phantasterei erscheinen mag,
während andere ernste Kunstfreunde darin die Fortsetzung
einer großen Uberlieferung und die Erweiterung der Grenzen
europäischer Malerei erblicken. Küppers Werk ist eine
charakteristische Äußerung deutscher Betrachtungsart, als
welche die Neigung hat, die Dinge aus einem allgemeinen
geistesgeschichtlichen Zusammenhange zu behandeln, die
Erscheinungen auf überpersönliche, ja religiöse Antriebe

zurückzuführen. Daniel Henrys Buch zeigt mehr jene ver-
gleichsweise rationalistische, sachliche Haltung, die franzö-
sischer Geistesart sich nähert. Er gibt, ohne die tieferen
Zusammenhänge zu leugnen, eine genaue Darstellung von
dem Werden der kubistischen Bildform, von den formal-
ästhetischen und entwickelungsgeschichtlichen Beweggrün-
den, denen Picasso und Braque gehorchten. Denn in diesen
beiden Künstlern sieht Henry wohl mit Recht nicht nur
die Pioniere, sondern vor allem auch die stärksten und
feinsten Künstler dieser Anschauung. Und darauf kommt
es im letzten Grunde an, denn „unter denen, die sich ihr
anschlössen, sind begabte und unbegabte Künstler, auch
im Kubismus bleiben sie, was sie waren". Dieses Be-
kenntnis zur Qualität ist wichtig, es gibt den Schriften
dieses Autors — mag man sie „einseitig" finden und wenig
Rücksicht nehmend auf deutsche Kunstgeschehnisse — stets
einen sympathisch reinlichen Unterton. Und sie haben
etwas wie urkundlichen Wert, denn Henry hat in Paris die
Entwickelung vom Anfang des Jahrhunderts bis zum Kriege
tätig miterlebt als ein programmatischer Kunsthändler, der
nur für das eintrat, was er liebte und schätzte.

Dr. Paul Erich Küppers, der temperantvolle Leiter der
Kestner-Gesellschaft in Hannover, hat es somit, weiter vom
Zentrum des Geschehens entfernt, schon durch die Vor-
bedingungen schwerer. Zudem spannt er sein Blickfeld
weiter: er schildert die Gesamtlage der Malerei seit dem
Impressionismus, er spricht in gehobenen Worten von den
Antrieben der „Ekstatiker" (van Goghs und der Expressio-
nisten) und faßt diese Strömungen als „Mystik des Eros"
zusammen, welchen er dann die „Mystik des Logos" gegen-
überstellt, das Suchen nach einem in sich selbst ruhen-
den, überpersönlichen Symbol der Gesetzlichkeit. In Hans
von Mardes, der den Reiz des Vielfältigen zum Eindeu-
tigen steigert, sieht er einen Vertreter dieser Geistesart, in
Cezanne kündigt sich ihm, zumal in den Aquarellen, die
klare kristallische Schichtung des Bildaufbaus an. Dem
folgenden Geschlecht werden im Gegensatz zum atmo-
sphärischen Raum der Impressionisten, zur Einbettung in
das Licht, die Gegenstände der Körperwelt zu „Raumver-
wirklichungen, gleichsam Versteinerungen des Raums". Er
spricht von einem Welterleben, das im Endlichen die Melodie
des Unendlichen aufklingen läßt, von dem Ergreifen der
Dinge mit franziskanischer Liebe, da sie Träger des Gött-
lichen sind, und deutet die ganz ins Erscheinungslose empor-
gestiegenen Werke der Kubisten als Ausformung mystischer
Religiosität. Im dritten Kapitel stehen schöne, eindringlich
geschriebene Seiten über Henri Rousseau, auf welchen uns
die Tonart des Buches wie auch die zahlreich eingestreuten
Stellen aus deutschen Mystikern besser zu passen scheinen,
als auf den Kubismus. Der Verfasser wölbt den Bogen
seiner Betrachtungen so hoch, daß sich dessen Scheitelhöhe
zuweilen hinter Gewölk verbirgt. Er will vor allem Ehr-
furcht wecken vor einer geistesgeschichtlichen Tatsache,
deren Zeichen den platten, selbstzufriedenen Witz des
Bürgers zu Unrecht reizen. — Am aufschlußreichsten über
den Zusammenhang gegenwärtiger Weltstimmung mit der
Schöpfung des Picassokreises ist eigentlich ein Zitat aus
Spenglers „Untergang des Abendlandes", wo dieser das
moderne Raumgefühl in Beziehung bringt zu den Speku-

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