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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 15.1880

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Förster, Bernhard: Die Vorbildung der Architekten in Preußen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5804#0024

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Die Vorbildung der Architekten in Preußen.

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eineu in der Mathematik und im Zeichnen, die anderen
in den graphischen Disciplinen (soll wohl heißen im
Zeichnen?) mehr leisteten als bisher." Mit anderen
Worten: die Gymnasien bedürfen der Verbefferung.
Dies hindert seinen Kollegen nicht, gleich darauf zu
erklären: „Das Gymnasium könne seinen bewährten (!)
Lehrylan nicht soweit ändern, daß dem Unterricht in der
Mathematik und im Zeichnen der für die Vorbildung
der künftigen Architekten erforderlich erachtete Umsang
und Zeitaufwand gewährt werde."

Wenn der Leser sich von der Ueberraschung über
diesen Mangel an Konsequenz und Uebereinstimmung
erholt hat, wird er dem Urtheil nicht widersprechen,
daß hier mit unerfreulicher Leichtfertigkeit über eine
wichtige Angelegenheit berathen und geurtheilt worden
ist. Denn wichtig in der That scheint uns die Frage
von dem Werthe der klassischen Studien, sowie von
der Vorbildung der Architekten; so wichtig, daß der
Unterzeichnete es für nöthig hält, hier noch einmal
darauf zurückzukommen, obwohl er erst kürzlich an
einem anderen Orte*) sein Votum abzugeben veranlaßt
wurde.

Soll hier über die Bedeutung der altklassischen
Sprachen, über den Einfluß, der auf unsere höhere
Bildung von der Bekanntschaft mit der Kultur (nicht
bloß Grammatik) der Hellenen geübt wird, wirklich
ausführlich gehandelt werden? Mache doch ein Jeder
den Versuch, sich den Einsluß der Antike aus der Ge-
schichte der Deutschen und aus seiner eigenen Ent-
wickelung wegzudenken und sehe er zu, was übrig
bleibt! Hellas ist unsere Mutter; aus der weltgeschicht-
lichen Ehe, die sie mit dem Germanenthum einging,
wurde die moderne Kultur geboren, die man meinet-
wegen schmähen mag (sie hat ja auch ihre Mängel),
die man aber nicht ändern kann. Vielleicht haben jene
strengen Leute Recht, die da sagen: Wären uus doch
die von Wälschland gekommenen Güter: Religion,
Recht, Kunst, fern geblieben; vielleicht hätten wir unsere
Wodansreligion veredelt, die Anfänge unserer Kunst
in unserem Sinne entwickelt, unser eigenes Recht bei-
behalten uud ausgebildet u. s. w. — Wer hätte nicht
schon einmal so empfunden, um sich dann doch wieder
zu sagen: Phantasiren ist nicht Philosophiren, niit
hypothetischen Sätzen treibt man nicht Kulturgeschichte.

Da unsere moderne Kultur von mütterlicher Seite
hellenisches und romanisches Blut in ihren Adern hat,
muß sie diese Verwandtschaft pflegen; deshalb müssen
nnsere Erziehnngsanstalten, die Menschen bilden wollen,
welche an der geistigen Arbeit unserer Nation theil-
zunehmen berufen sind, ihren Schülcrn das Gricchen-

*) Jn Adolf Bötticher's „Wochenblatt für Architekten
und Jngenieure", Nr. 18.

! thum in jeder Form anzueignen suchen. Es ist oft
bezweifelt worden, daß die Gymnasien noch die Kraft
besäßen, ihre Schüler in die Großartigkeit der antiken
Welt einzuweihen. Diese Zweifel haben ihre Berech-
tigung, wenn man den heutigen Znstand dieser Lehr-
anstalten iu's Auge faßt. Von den fünf größten und
eigenthümlichsten künstlerischen Leistungen des Hellenen-
thums: der Tektonik, der Plastik, der Gymnastik des
Körpers, der Poesie, der attischen Prosa — deren
jede ein Wunderwerk in ihrer Art ist — werden die
drei ersten auf den Gymnasien so gut wie nicht gepflegt,
so groß auck gerade der pädagogische Werth derselben
ist, und gegen die Pflege der beiden anderen laffen
sich erhebliche Einwände erheben. Keine Frage, daß
unsere Gymnasien der Reform bedürfen, und die Gegner
dieser Anstalten hätten uns den größten Dienst er-
wiesen, wenn sie ihre Angriffe an rechter Stelle, bei
Gelegenheit des Schulgesetzes angebracht hätten und
so die längst gewünschten Nefvrmen hätten beschleunigen
helfen.

Jn welchem Sinne wir eine Reorganisation der
Gymnasien für nvthig halten, wenn sie ihren stolzen
Beruf, die höchsten Bildungsanstalten der Nation zu
seiu, auch ferner erfüllen sollen, mag hier nur ange-
dentet werden. Die Aneignnng des klassischen Alter-
thums, das wahre Eindringen in dcn Geist desselben,
soll auch in Zukunst der beste Erwerb der deutschen
Jugend bleiben. Daß dieses Eindringen auf dem bis-
herigen Wege, Griechisch und Lateinisch zu treiben,
nicht genügend erreicht wird, und nnsere Gyninasien
eher das Gegentheil der eben ausgesprochenen For-
derungen erfüllen, ist eine Thatsache, die dem Kun-
! digen nicht bewiesen zu werden braucht. Direkt lernen
von den Alten sollten wir u. A. auch cine Pflege des
Kvrpcrs, d. h. einc Entwickclung desselben zum Kunst-
werk, — wie wir Kulturmenschen denn doch durch-
aus Kunstprodukte sind. Daß ein Verständniß der
alten Kultur ohne Verständniß für die Kunst der
Griechen ein Unding ist, ist hier nicht weiter ausein-
anderzusetzen; es ist aber purer Zufall, wenn unsere
Jünglinge, die mit dem „Zeugniß der Neifc" dic Gym-
nasien verlassen, auch nur eine Ahnung davon haben.
Kurz, ein Erfassen der antiken Kultur, das nicht bloß
grammatischer und literarischer Art sei, muß das einc
Hauptziel der Gymnasien sein. Der Unterricht in der
Mathematik mnß im Wesentlichen in dem bisherigen
Umfange sestgehalten werden. Die bildende und er-
ziehende Kraft, die dem Unterricht in der Physik iune-
wohnt, scheint anch noch verkannt zu werden; diese
Disciplin ist nicht niit in die Abgangsprüfung anf-
genoinmen!

Einem so geschulten, mit dcn Jdealen edelster
Menschlichkeit erfiillten Geiste kann Manches überlassen
 
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