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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Vom Christmarkt
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Vom Christmarkt.

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der Ballade, so daß wir sie mcht in jede Kinderhand !
gelegt wissen niöchten, wenn nicht der abwechsclndc
Charakter der Dichtungen de» Wellenschlag des be-
wegten Gemütes wieder in ein sanfteres Tempo über- !
leitetc. Dic sich anschließende größere Anzahl von Fa-
beln bieten sowohl in ungebundener als auch gebundener
Form „in wenig Worten goldne Lehren" für die Klei-
nen, wenn auch hier etliches zugleich mit snr Er-
wachsenc bcrechnet ist. Dieser Märchen- nnd Fabel-
schatz ist jedoch nicht alles, was das Büchlein in sich
birgt: mit des Dichters Worten ringen Carl
Gehrts' Zeichnungen um die Palme und spenden
mit jenen nm die Wette „Märchenzauber und Waldes-
duft". Die Gestalten des Künstlers zeigen in ihren
krästigen Umriflen und ihrer kernigen Schattirung viel
Verwandtes mit Hermann Vogels Bildern zu den
deutschen Sagen; auch Gehrts gelingen die mittelalter-
lichen Figuren in Leben und Sage ganz vortrefflich,
vor allem ist ihm jedoch dic Gnomenwelt ans Herz
gewachsen: so eisrig wie er hat sic noch kciner be-
lauscht vnd aus dem dunkeln Reiche an das Licht ge-
zogen; dasür sind sie ihm aber auch ganz besonders
hold und geben sich bci ihm in voller Ungebunden-
heit: cin Vcrgleich mit Hcrmann Ulfsers anspre-
chcndem Titelbilde wird nnserc Wahrnehmung be-
stätigen.

Untcr den Kinderbiichern modernsten Stils ninimt
Paul Thumanns „Für Mutter und Kind" sowohl in
künstlerischer Durchsiihrnng als auch in dichtcrischer Ans-
ivahl unstrcitig eincn hohen Rang ein und hat bereits zu
anerkennenswerter Nacheiferung angercgt. Auch Sophie
von Adelung hat sich in ihrem neiiestcn Werke,
Cora's Bilderbnch (Stuttgart, Gustav Weise),
diescr Nachfolge angeschlvssen nnd darin ganz Beach-
tenswertes geleistet. Jm Vergleich zn dem im Vor-
jahre von ihr herausgcgebencn „Maikäfer ans Reiscn"
ist cin bcdcutender Fortschritt zu konstatiren: von
größerer Naturwahrheit in Mienen und Bewegungen
individualisiren jetzt ihre Gestalten, trotz der nur in
leichtcn Umrissen nnd in ost allzu matten Farbcn ge-
haltenen Bilder, Jung und Alt, Dorf und Stadt in
entsprechender Weise. Jm Charakter haben einige
Blätter vieles mit ihrciu Vorbilde gemeiu, und mch-
rere lehnen sich ganz unverkennbar an dasselbe an;
aber neben den pausbäckigen Dorfkindern nud der
ländlichen Sccnerie findet sich bei ihr auch eine größere
Anzahl von Motiven aus dem städtischen Leben, dessen
Vertreterinneu trotz ihrer ost hochmodcrnen Toilette eines
gewissen malerischen Rcizes nicht entbehren.

--o

IV.

— n. Noch ein paar Nachzllgler! Zu den Pracht-
ansgaben beliebter uud oft aufgelegter Dichtungen hat
sich soebcn ein von Fr. Wandercr nnd B. Plockhorst
illustrirter „Spitta" gesellt.*) Wir setzen absichtlich
Wanderer voran und nicht Plockhorst, wie es der
Titel thut, weil dem ersteren das bcflere Teil gebiihrt:
die Erfindung der gotisircnden Umrahmungen der Text-
seiten nebst Initialen und die acht an die Bitten deö
Vatcrunsers sich anschließenden Kompositionen der
Zwischentitel, alles mit gutem Geschmack, streng nnd
klar und mit jener Sicherheit gezeichnet, die auf cincin
zuverlässigen Formengcdächtnis und ciner instiuktiven
Gestaltungskraft beruht, alles in der Anstalt von
Käseberg k Oertel trefflich und verständnisvoll j>,
Holz geschnitten. Jn scharfen Gegcnsatz zu deu „nach
berühmten Mustern", aber mit freier Hand nnd freiem
Kopfe geschaffenen Gebildcn des trefflichen Nürnberger
Künstlers tritt alles, was Plockhorst hinzugefügt, un,
die Prächtigkeit des Prachtwerkes fühlbarer zu mache»,
acht ganzseitige Kompositionen in photographischer
Reproduktion nnd acht in Holz geschnittcne Nund-
bilder, wie jene malerisch gedacht und malerisch ans-
gesührt. Da wir schon einmal das besondere Vcr-
gnügen gehabt haben, diesem gar nicht zu einander
paflenden künstlerischen Gespann bei einem im Kröncr-
schen Berlage 1881 erschicncncn religiösen Prachtwerke
(„Von Bethlchem nach Golgatha") zu begeguen, sv ließe
sich alles, was wir damals gesagt, mutatis niut-mcki^
bei dieser Gelcgenhcit wiederholen. Der Kürzc halber
verweisen wir abcr licber aus Kunstchronik 17. Jahrgg.,
Sp. 116. Im übrigcn wollen wir dcm Verleger
keinen Vorwurf darans machen, daß er dem erwähn-
ten Vorbilde gefolgt ist; ihn leitctc ohne Frage die
verständige Erwägung, daß zu eineui guten Menn
auch cinc süße Niehlspeisc gchörc, insbesondcrc wenn
Damen zu Tische geladcn sind. Jedensalls hat er auch
darin das Richtige getrosfen, daß er bei den Plockhorst-
schen Kompositioncn den Vorzug der photographischen
Neproduktion gab, bei welcher der Glanzlack immer-
hin eine gewifle Wirkung aus unbcfangeue Gcmüter
ausübt.

Von einem solchcn bestechenden Glanzc kanu bei
der Knnstweise keine Rede sein, welche sich statt des
Pinsels der Nadel und des Ätzwaflers bedient. Die
Radirung ist eine vornehme Kunst, die nicht Prunkt
und prahlt, um die blöde Menge zu locken, deren
Schöpfungen sich vielmehr an das Ange des echten
Kunstsreundes wenden, dcm das eingehende Bctrachten
eines Kunstwcrkes Genuß und Freudc gewährt. Als

*) Spitta, Psalter und Harfe. Fünszigste Aufl. Jubel-
ausgabe mit 24 Vollbildern. 4". Bremen, Heinsius.
 
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