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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Rosenberg, Adolf: DIe Konkurrenz um das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig, [1]
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407

Die Konkurrenz um das Reichsgsrichtsgebäude in Leipzig.

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keiten keineswegs, die darin liegen, fiir Gcbäude von
durchaus moderner Bedcutung innerhalb des kurzen
Zeitraumes, welcher seit dem Auftauchen der Bedürf-
uisfrage verslrichen ist, fchon jetzt eine charakteristische
Erscheinnngöform von iiberzeugender Deutlichkeit zu
finden. Aber zwischen einem Reichstags- und einem
Justizgebäude bestehen doch Unterschiedc, die ästhetisck,
snmbolisch, konstruktiv oder wic man svnst will zum
Ausdruck kommen müssen. Auf eine speziclle Charak-
teristik hat man aber verzichtet. Wie bei der Kon-
kurrenz um das Reichstagsgebäude haben sich auch
hier die meisten Bcwerber damit begnügt, die maje-
stätische Jdee der hbchsten Gerichtsbarkeit durch einen
guadratischen, einen polygonen oder pyramidalen Aus-
bau über der Mittc oder dnrch eine Kuppel zum
Ausdruck zu bringen, und in solchen Kuppelkonstruk-
lionen hat die Mchrzahl der Konkurrenten dcs Gutcn
zu viel gcthau. Da die Jury bei ihrer Entscheidung
die praktische Durchsührbarkcit dcr Entwürfe streng im
Auge behielt, hatten die Kuppelenthusiasten von vorn-
herein wenig Aussicht auf Erfolg. Jn dem Entwerfen
von Kuppeln und ähnlichen Aufbauten haben sich bei
dieser Gelegenheit aber gerade die Erfindungsgabe und
der Phantasicreichtum unserer Architekten, also rein
künstlerische Momente, auf das glänzendste bethätigt.
Ein Teil dieser Oberbaukonstruktionen ist freilich ge-
radezu maßlos und erhebt sich nicht über den Wert
einer geistreichen Spielerei. Jn dem Entwurfe mit
dem Mvtto „Rast ich, so rvst ich" steigt der Aufbau
in drei luftigen Etagen empor, die zusammen fast die
doppelte Höhe dcs Gebäudes selber haben. Ulrich
Wendt in Bernburg hat sich zn einem phantastischen
Kuppelbau hinreißen lassen, der einem Märchenpalast aus
Tausend und einer Nachl zur Zierde gereichen und allen-
falls für ein Weltausstellungsgebäude charakteristisch
seiu würde. Jn dem Entwurfe niit Lem Motto „Berta" !
erhebt sich über eineni höchst komplizirteu, stcilausragen-
den Oberbau noch eine Kolossalstatue der Germania,
die auf drei Seiten von einer Säulenhalle umgcben
ist, welche an diejenige des pergamenischen Altars er-
innert. Auch Schwechten, der Erbauer des Anhalter
Bahnhoss iu Berlin, hat seinem sonst durch monu-
mentale WUrde vor vielen anderen ausgezeichneten
Entwurf durch den übertriebenen Luxus des Oberbaues
geschadet. Auf einei» vierseitigen Sockel erhebt sich
ein kleinerer, ebenfalls guadratischer, durch Säulen-
stellungen geöffneter Unterbau, über welchem eine
Stufenpyramide emporsteigt, die ihreu Abschluß in einer
kolossalen Kaiserkrvne findet. Dasselbe Motiv, noch
durch Figuren erwcitert, wiederholt sich auf den vier
Eckeu deö BankörperS, welchcr drei Geschosse euthält:
das untere ist iu krästiger Rustika gehalten, die beiden
oberen sind durch eine palladieske Halbsäuleiivrdnuiig

zusammengefaßt. Jmmerhin hat dieser Entwurf den
Vorzng einer geistvollen Originalität und gehört zu
denjenigen, welche von dcm Wallotschen Reichstags-
gebäude unabhängig sind. Dagegen sind Auklänge an
Poelaerts Justizpalast in Brüssel, der auch noch auf
eine Reihe anderer Projekte eingewirkt hat, nicht ver-
mieden wordeu. Das läßt sich abcr nm so eher recht-
fertigen, als wenigstens ein seiner Bestimmuug nach
verwandtes Gebäude zum Bvrbild gewählt worden ist,
ein Gebäude zumal von großem monumcntalen Wurf,
in desfen äußerer Erscheinung sein Ziveck vollkvmmcncr
zum Ausdruck gelangt ist, als in jeder auderen mo-
dernen Schöpsung ähnlicher Art. Neben ihm konnten
eigentlich nur noch der Pariser Justizpalast, namentlich
wegen seiner iniiercn Eiurichtung und seincr berühm-
ten 8alle ckes pas psrckus, nnd der Wiener Justiz-
palast von A. v. Wiclemans als Borbilder in Betracht
kommen. Letzterer hal in seiner äußeren Erscheinung
nichts, was zwingend aus seine Bestimmung deutet.
Jndesien hat auch er einige Projekte beeinflußt, dercn
Autorcn mehr als zwei Geschosie angelegt haben, so
z. B. den mit einem dritten Preise gekrönten Entwurf
Vvn Bischer und Fueter in Basel, bei welchem srci-
lich auch die Semper-Hasenauerschen Hofmuseen iu
Wien gewisie Details der Fasiade bestimmt haben.

Auch aus dieser Konkurrenz hat sich von neuem
ergeben, daß der Stil der italienischen Renaissance und
zwar der Palaststil der Hochrenaissance der weitaus
größeren Mehrzahl der deutschen Architekten als der
geeignetste siir den Ausdruck der Monumentalität er-
scheint. Demnächst kommt die französische Renaisiance
in Betracht, während die deutsche Renaissancc uud die
Gotik zusaminen durch etiva zehn Entwürse vertreten
sind, von denen jedoch nur zwei, ein vollkommen im
Charakler eines Rathauses gehaltenes, aber sehr sorg-
faltig durchgearbeitetes Renaisianceprojekt von Baurat
Güldenpfennig in Paderborn, und der höchst male-
risch komponirle nnd ebenfalls streng durchgefllhrtc
gotische Entwurs vou Plüddemanu iu Potsdam,
ernsthafte Beachtung verdienen. Daß ein gotischer
Entwurf von vornherein ausgeschlosien war, ergiebt
sich ebensowohl aus dem architektonischen Gesamt-
charakter Leipzigs als aus dem besvnderen Umstande,
daß sich an der Ostseite des für das Reichsgerichtsgebäude
bestimmten Bauplatzes slldlich von der Pleiße bereits
ein Renaisiancebau, das Konzerthaus, erhebt, damit
also der Siil für dic Monunientalbanten der Umgebuiig
indizirt war. Jn einem zweitcn Artikel werden wir
auf dic preisgekrönte» und eiuige anderc Entwllrfe
noch näher eingehen.

Adols Roscnbcrg.
 
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