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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Graul, Richard: Pariser Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0298

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Pariser Ausstellungen.

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daß er nicht in einem Angenblick mangelhaster Selbst-
überwachung den Groll gegen Dentschland wieder ein-
mal hätte cntladen sollen. Dic denkwiirdige Adresse des
Abgeordneten Delabrousie an den Pariser Gemeinderat
gegen die Znlasiung dicser Ausstellung — dcr Argu-
mentation lag übrigens cine Berwcchselung Mcnzels
mit dem gleichnamigen Franzosenfresier, dem GeschichtS-
schreiber, zu Grunde — war der offizielle Ausdrnck
einer antipathischcn Stimmnng, welche iu dem schwachen
Besuch der Ausstellung in einer für die Veranstalter
empfindlicheu Weise sich geltend macht nnd dic das llrteil
über den Meister in der Fachpresie selbst zu trüben
vermochte.

Die Ausstellung umfaßt 386 Nummern. Es sind
verhältnismäßig nur wenige Gemälde vorhanden, die
„Schmiede" und die „kianW ck'orbs" crregen das meiste
Jnteresse; um so reicher ist die Sammlung an treff-
lichen Studien in Aquarell, Gouache und vorzüglich
an Zeichnungen jeder Art. Hier crschcint der Mcister
charaktcristischer Darstellung in seincr ganzen Größe.
An seinen Gemälden mag man den feinen Reiz har-
monischer Abwägung der Farbenwerte häufig vermissen,
man mag selbst hier und da an der Komposilion niäkeln
— als genialer Zeichner ist Menzel unübertroffen.
Jm flüchtigen Croguis wie im vollendet ausgcsührtcn
Blatte offenbart sich mit gleicher ursprünglicher Kraft
sein echt künstlerischer Drang nach allseitiger Durch-
dringung, nach Bewältigung der Natur. Schade, daß
das schvne Unternehmen, auf das wir in dcr Zeit-
schrift zurückkoiiimen werden, cben weil es in erster Linie
dem Zeichner gilt, der das große Publikum weniger
anspricht als der sinngefälligere Maler, nicht die ver-
diente Beachtung findet!

Der Salon dieses Jahres weist keinc Werke von
einschneidcnder Bedeutung in der Entwickelung der
französischen Kunst auf, keine Schvpfung eines macht-
voll ausstrebenden Talentes, — keine erste Medaille, —
noch großartige Leistungen der reifercn, tonangebenden
Meister. Die naturalistische Bewegung ist im franzö-
sischen Kunstleben oben auf, sie hat dem Vulgären in
Auffasiung und Formgebung die Bahn geebnet. 2a
es möchte scheinen, als sühle man sich wohl im nüch-
ternen Treiben der unteren Volksschichten, denn der
Maler, welche daran sich inspiriren, sind viele, Werke
aber wie diejenigen Rolls und Lhermitte's selten.
Sonst gewahren wir viel Greuelscenen, viel Schauer-
mären: die Clairin, Benjamin Constant, Bonnat,
Rochegrosse, Maignan, Morot und Merciö ex-
celliren mehr oder weniger im Masiacre. Sanftmütigere
Leute, die zahlreichen Jdyllenmaler und die namentlich,
welche bestimmt waren, auf großem Plane Trau- und
hochzeitliche Scenen für einige Pariser Mairien zu malen,
verniögen kaum gegen das viele Blnt auszukvmmen.

Religiöse Malerei, Allegorie und mythologischcs Genrc
sind von trübseliger Sterilität. Kcine einzigeGrablegung,
kein Christus am Kreuz, nur der vielgeplagte heilige
Antonius hat sich wiederholter Versuchungen zu er-
wehren. Vielcs prätendirt historisch zu sein, dem
meisten aber sehlt Klio's beseelender Hauch. Selbst von
Schlachtenbildern werden wir wenig zu berichten haben;
es ist zu bedauern, daß de Ncuville's letztes Werk,
1s pailsmsntairs, das Albert Wolff im ersten Faszikel
seines Paris-Salon veröffentlicht hat, nicht zur Aus-
stellung kam! Auch die Landschafter haben sich nicht
sonderlich angestrengt, und von den Porträtistcn möch-
ten wir in diesem vorläufigen Reserat nur den treff-
lichen Delaunay nennen.

Von fremden Malern haben nur wcnige Be-
dcutendes eingeschickt. Fritz von Uhde's den Lesern der
Zeitschrift bereits bekanntes Bild „Lasiet die Kindlein
zu mir kommen" ist eine der PerlendesSalons; Meyer-
heim und Friese (Löwcnpaar) sind tüchtig vertrcten.

Die Bildner schlagen im allgemeinen immer eincn
idealeren Ton an als die Maler, indesien fehlt es auch
im Wintergarten des Jndustriepalastes nicht an Werken
der übertrieben realistischen Richtung.

Wir übergehen die Puerilitäten der Jndspendants
und treten in die Galerie Petit. Diese „Jnternatio-
nale Ausstellung" erweist sich eigentlich neben dem
Salon als fünftes Rad am Wagen. Doch ist Bonnat
mit neun Gemälden, zum Teil älteren Datums, ganz
vortrefflich vertreten; Liebermann, der im heurigen
Salon sehlt, Monvel, Domingo und Edelfelt
komnien gul zur Geltung und ein Nacheiferer Manets,
Monet, deckt den „Tachismus" in aller Ungeheuer-
lichkeit auf. Andere Berkehrtheiten der ultranaturalisti-
schen Strömung kann man an Sargent, Raffaelli
und selbst an Alfred Stevens studircn.

Ein Realist von eigentümlichem Gepräge ist James
Tissot, den ein längerer Aufenthalt in England vor
der tollen Manier der Extremen bewahrt hat. Seine
Werke füllen die Galerie Sedelmeyer. Der Künstler,
welcher Stift und Pinsel, Radirnadel und Modellir-
holz mit gleicher Virtuosität handhabt, erscheint als
scharfer Beobachter des äußeren Gesellschaftslebens; es
fehlt ihm aber die Gabe psychologischer Vertiesung, die
einen Menzel auszeichnet. Der Typus, den er seiner
„Usmins ü Uaris" in ihren verschiedenen Erscheinungs-
sormen aufgedrückt hat, gemahnt zuweilen an die
Töchter Albions, die er zu schilbern nicht mllde wird.

Den Hinweis auf die beiden bedeutendsten Aus-
stellungen haben wir uns bis zum Schluß aufgespart.

Die erste derselben, diejenige vvn Porträts aus
unserem Jahrhundert, ist in Paris Lie zweite ihrer
Art (die erste fand 1882 statt). Sie umfaßt Werke
von Chardin uud David herauf bis zu Bvnnat und
 
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