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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0340

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Kunstlitteratur.

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anschlägt und cmf einige Äußerlichkeiten bcschränkt.
Scbärfer aber wäre vielleicht zu betvnen gewesen, daß
die Säule der griechischen Tempel, entstanden aus der
friihereu Baumstaininstütze, durch die ägyptischeu Stein-
und Felssäulen, wie sie in den Gräbern von Beni-
Hassan sich sinden, ihre Weiterbildung erhalten hat;
daß serner die ersten Bersuche der Plastik, die mensch-
liche Gestalt statt in holzgeschnitzten Xoana in runder
Steinsknlptur wiederzugeben, durch die ägyptischenStein-
bilder vcranlaßt sein werden; auch erhält sich eine
ganz äußerliche Nachahniiing ägyptischer Kunstweise noch
hin nnd wieder in späterer Zeit, wie dies z. B. bei den
Branchidenstatuen bei Milet der Fall ist oder bei den
Statuen der „Grammateis" auf der Akropolis zu
Athen. Jm Gegensatz dazu weisen Anfang und Ent-
wickelung der griechischen Reliefplastik mchr ans Assy-
riens Kunst, woher den Griechen auch die schönsteu
Ornamente zukamen. Aber wie der Hellene jedwedes,
was ihm von außen, sei es von den Ufern des Nil,
sei es von den Ebenen des Zweistromlandes, sei es
Schrist, Gewicht oder Zeilrechnnng u. s. w., zukam,
sich selbständig aneignete, so verarbeitete er auch in
künstlerischer Hinsicht alles, was ihm ausstieß, wie
z. B. die Zwittergestalten der Sphinx, dcr Sirencn
u. a. mehr, derartig selbständig, daß es so zu sagen
„autochthon" und selbständige Neuschöpfung wurde
— das ist einer der Ruhmestitel griechischer Kunst,
birgt aber auch zugleich die besondere Schwierigkeit,
die Wege der Entstehung überall klar und zweifellos
verfolgen zu können.

Es kann bei einem solchen Buche nicht Wunder
nehmen, daß bald hier, bald da sich der Widerspruch
des Lesers regt, hier eine Einschränkung, Lort ein Frage-
zeichen nötig scheint. So ist — um nur einiges wenige
herauszugreisen, womit Rescrent nicht übereinziistimmen
vermag — z. B. die arische Deutung des stierköpfigen
Minotauros (S- 62 ff.) sicher irrig: der sonst in der
Griechenkunst unerhörte Tierkopf auf menschlicheni Kör-
per erklärt sich zur Genüge daraus, daß im Mino-
tauros das phönikische Baal-Mvlochtum personisizirt
ist, welches durch das im Svnnenhelden Theseus ver-
körperte Hellenentum überwältigt wird; auf diese ano-
male Bildung Les Minotauros darf daher auch für
die Existenz der pferdeköpfigen Figur der Demcler
Melaina nicht Bezug genommen werden (S. 26, 2).
Stellt übrigens die auf S. 68 beschriebene Genime
des Nrisös kol (Nr. 2322) wirklich „Theseus und
Miuotaurvs (Mann mit zwei Hörncrn)" dar und nicht
vielmchr „Herakles und Acheloos" ? Vgl. dazn die wohl
identische Darstellung in der Archäolvgischen Zeitung
1862, Taf. 168, 3, S. 320 ff. Auch die Zuweisnng
der „Vänris aooroupis^ an dcn Polykletischen Dädalvs
(S. 17) ist sicherlich verfehlt und unniöglich, — nicht

sowohl wegen der Nacktheit als wegen der effekthaschen-
den Gesuchtheit des genrehaften Motips kann das Ori-
ginal meines Erachtcns erst in der Diadochenzeit
entstanden sein. Das archaische Lächeln soll gewiß-
lich nur Leben (anima) anzeigen,— von etwas „Trium-
phirendem oder Provocirendem" darf da nicht gesprochen
werden (S. 41, 2). Unfaßlich ist mir ferner, wie bci
der Athene des Äginetengiebels von Nacktheit dcr Briyl
und demnach von ihrer Berwandtschaft, bez. Ähnlich-
keit niit indischen Frauenfiguren und mit dem viclbe-
sprochenen großen Goldring von Mykenä*) gesprvchen
werden kann (S. 146 ff.); dagegen urtcilt dcr Ber-
faffer richtig, wenu er diesen Goldring sür nicht so
alt hält, wie z. B. Milchhöfer, deffen arische Hypv-
these es ihm sonst angethan hat. U. s. w.

Dem Buch sind auf 16 Tafeln eine große Anzahl
von Abbildungen beigegeben worden, um auf Schrilt
und Trilt die Erörterungen über die Gegensätze
zwischen ägyptischer und griechischer Kunst „aä ooulos"
zu demonstriren. Dem Referenten will dünken, daß hier
weniger m ehr gewesen wäre, zumal die Abbildungen —
die ägyptischen finden sich fast alle bei Perrot — meistens
wohlbekannt sind und ihre Wiedergabe nicht einmal
immer auf der Höhe heutiger Jllustrationen steht
(vgl. z. B. das Neapeler Orpheusrelies aus Taf. XIV).
Neuer und intereffanter Abbildungen sind nur sehr
wenige: Taf. II birgt die wohlerhaltene Terra-
kottafigur eines Komikers aus einem sicilischen Grabe,
hier in der Größe des Originals und beffer wieder-
gegeben als in der (la/.slto aroliöologigus III, S. 39
(vgl. dazu S. 127); Tas. III die charakteristischeBronze-
statuette einerdenHorus säugendenJsis (S. 75,1); endlich
Taf. VIII die schöne inschriftlose Büste des Sokrates aus
beni Museuin zu Neapel, der wir wohl in dem in Bälde
erscheinendenBuche (avso nowbrsux portraits) desselben
Berfaffers über Sokrates' Lcben und Tod wieder-
begegnen werden. Reserent würde es für richtiger gc-
halten haben, nur wenige, aber recht vvrzügliche Ab-
bilvungen beizufiigen, etwa von deni Apollon von
Tenea und von dem ägyptischen Schreiber; letztere Ab-
bildung natllrlich in den Farben des Originals (vgl.
die recht gelungene sarbige Reproduktion bei Perrot-
Chipiez I, pl. 10). Tas würde den Preis des Werkes
gemindert, die Berbreitung desselben abcr vermehrt
haben, uud letzteres wäre dem anregenden Buche von
Herzen zu wllnschen sür alle Kunstfreunde und Kunst-
kenner, welche die ägyptischen wie die altgriechischen
mehr interessanlen als schönen Knnstdenkmäler vcr-
stehen, würdigen und lieben lernen wollen.

Halle a. S. H. Heydcmanii.

*) Vgl. zu demselben jetzt die genauere Abbildung und
eingehende Besprechung in der Archäol. Zeitg., 1883, S. 169
(Roßbach) ii. S 217 (Milchhöfer).
 
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