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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Die deutsche Kunst auf der Weltausstellung zu Antwerpen, [1]
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Die deutsche Kunst auf der Weltausstellung zu Antmerpen.

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wie diese »>it ihren bcsten Werken in die Schranken
tritt. Bei deni wcnig in dcis Ansland hinansschauen-
den Sinn nnserer meistcn Kiinstler ist auf eine ans
eigeneni Antriebe erfolgende Bcteiligung an den
freniden Ausstellungen auch nicht annähernd in dem
erforderlichen Maßstabe zu rechnen. Die Einsetzung
besvndercr Preise des deutschen Reichs fiir unserc auf
den Weltausstelliingen präiuiirten Kiinstler würde nach
diescr Richtung hin von grvßem Einfluß sein.

Welche Anzahl von Kräften ersten Nanges unserer
Ausstellung fern geblieben sind, tritt bei einem Durch-
gchen der einzelnen Zweige der Malerei recht grell
hervor.

Dasjenige Gebiet der Malerei, auf dein sich das
künstlerische Denken und Euipfinden der Zeit stets ain
treuesten widerspicgelt, die Porträtmalerei, ist nur
ganz lückenhaft vertreten. Der Fremde, welcher hier
die deutsche Abteilung durchwandert, wird nur zu leicht
zu dem Jrrtum verleitet werden, daß unser Jdeal der
Gestaltung menschlicher Charaktere, unser Glaube an
Manneswürde und Frauenschönheit in den Bauern
und Spießbürgern unserer nicht enden wollenden Neihe
von ländlichen Genrebildern seinen eigentlichen Aus-
druck gefnnden habe. Und doch ist es gerade die mit
deni politischen Ausschwung unseres Vaterlandes und
deni wachsenden Bedürfnis, die Urheber dieses Auf-
schwungs zu feiern, kräftig eniporgeblühte Porträl-
nialerei, die in der Darstellung des Menschen Len
vollen Jnhalt der die Zeit bewegenten Gedanken zum
Ausdruck gebracht hat. Nur hier finden wir unsere
Staatsmänner und Feldherren, unsere Künstler und
Gelehrteu, unsere Dichter und Denker und den ganzen
Kreis Lerjenigen Männer wieder, die der Zeit ihr
geistiges Gepräge gaben oder Lem Schicksalsrad der
Vvlker in die Speichen grifscn. Und nur hier finden
wir diejenigen Frauen wieder, uni die sich Licser weile
Kreis zu dem Gesamtbilde der modernen Gesellschaft
gruppirt. Für die Wiedergabe der Gcdanken, wclche
den Helden im Historienbilde bewcgen, für die Dar-
stellung der kleinen Svrgen, die den Jnhalt der Ge-
stalten des Genrebildes ausmachen, haben unsere
Künstler nur zu leicht eine in der Schule ererbte ideale
Schablone bereit. Die von derselbeu Leidenschaft oder
denselbcn Gedanken crfüllten Männer und Frauen
gleichen sich in allen diesen Bildern oft Jahrzehnte
hindurch wie dic Gliedcr einer cinzigen großen Familie.
Ganz anders in den Pvrträts, wo der Maler in
jedem Pinselzugc zur Riickkehr zur Natur gezwungen
wird und dem Jdeal für die künstlerische Gestaltung
des Charakters jederzeit die individuelle Gebärden-
sprache und nicht nur eine allgenieine Schultradition
zu Grunde liegt.

Der größte Charakterschilderer der heutigen deut-

schen Kunst, Franz von Lenbach, dessen Beteiliguug
die letzte internationale KunstauSstellung in Miinchen
veriniffeu mußte, ist mit drei nieisterhasten Arbeiteu
erschienen, den Bildniffen dcs Prosessors Dvliinger
und des Herrn M. von Lipphard, sowie mit einer
seiner genialen Pastellskizzen, in der er den Kops einer
schönen Frau niit wenigen farbigen Strichen aus schlich-
ter grauer Pappe sestgehalten hat. Von Ludwig Knau s
hat die BerlinerNationalgalerie das herrliche Bildnis deö
Profeffors Dioiiinisen hergeliehen, das zu seincn früheren
Triumphen hier den ersten Preis der WeltauSstellung
hinzugefügt hat. Hugo Crola aus Düffcldorf hat
sein von der vorjährigen Berliner Ausstellung bekannteS
Porträt des Malers Janffen hergesandt, ebenso Hcinricb
Lauenstein das Bildnis einer jungen Dame. Die
Anzahl der nennenswerten großeu Repräsentations-
bildniffe ist damit erschöpft. Das vornehme und
prachtliebende Salonporträt der Berliner und Miin-
chener Schule, das neben den gedankentiefen Charaktcr-
schilderungen eines Lenbach und Knaus auf seincm
besonderen Boden steht, ist inithin gar nicht zur Ver-
tretung gekonimen. Allerdings bringt die Münchener
Schule ein treffliches, doch wcsentlich genrcmäßig
aufgefaßtes Selbstbildnis Franz von Desreggers;
ebenso drei schöne, doch wesentlich als intinie
Familienbilder gcdachte Köpse von Wilhelm Räuber.
Aber weder Fritz August von Kaulbach, der niit
dem Bildnis seiner Schwester auf dem diesjährigen
Pariser Salon so viel bewundert wurde, noch Ferdi-
nand Keller, Konrad Kiesel und die übrigen
Schöpfer so manches gefeicrten Salonportäts sind hier
zu finden. Daß es in Berlin eine mit der Bedeutung
der Stadt von Jahr zu Jahr mächtiger emporblühcnde
Porträtmalerei giebt, die sich im Dienste des öffent-
lichen und privaten Lebens der Hauptstadt die führcnde
Rvlle in Deutschland crobert hat, kommt nicht zur
Geltung. Hätte die Nationalgalerie nicht das Knaussche
Gemälde hergeschickt, so wäre kein einziger Berliner
Porträtmaler hier vertreten, während die hervorragenden
Porträtisten von Paris, Wien und Brüssel mit ihren
Arbeiten die volle Aufmerksamkeit des Auslandes auf sick
ziehen. — Durch besondere Schönheit hervortretend
sei hier noch erwähnt der geniale Studienkops eines
alten Mannes von Max Thedy aus Weimar, eine
etwas im Sinne eines Jan von Eyck archaisircnde,
aber mit großer Sicherheit entworfene Arbeit.

Die künstlerische Wiedergabe des Lebens der mo-
dernen Gesellschaft im Genrebilde — ein im Gegen-
satz zur heutigen französischen Malerei von unseren
Künstlern überhaupt selten gepflegter Kunstzweig —
ist hier nur durch Bokelmanns von der Besprechung
der vorjährige Berliner Ausstellung her den Lesern der
Zeitschrist bekanntes Gemälde: „Die Spielbank in
 
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