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LITERATUR
Franz Landsberger, Die künß-
lerifchen Probleme der Renaiffanee.
Verlag von M. Niemeyer, Halle.
Jakob Burckhardts Syßematik der ita-
lienifchen Renaiffance-Ärchitektur hat auf
dem Gebiete der Plaltik und Malerei keine
Nachfolge gefunden — trotz Woelfflins
großen Fingerzeigen. Auf eine Periode
emfiglter Detailforfchung folgte als Reaktion
eine folche der Gleichgültigkeit gegenüber
dem ganzen Komplex delfen, was man »Re-
naiffance« nannte. Während diefer Ruhe-
paufe veränderte fich in vielem die kunß-
hiltorifche Gefamtlage und fomit auch die
Problemßellung der RenailTance gegenüber,
Infolgedelfen wuchs bei einem freilich noch
kleinen Teil der jüngeren Generation natur-
gemäß wiederum das Intereffe für die
grundlegenden Probleme der »RenailTance«
— gerade weil das Gefamtbild nicht mehr
klar in Erfcheinung trat und einer Revifion
bedürftig zu fein fchien. Es iß wohl fymp-
tomatifch, daß ein auf anderen Gebieten
kunfiwilTenfchaßlicher Forlchung erprobter
Gelehrter wie F. Landsberger hier in die
Brefche fpringt und den Verfuch macht,
unfer bisheriges Einzelwiffen zu zufammen-
faßender Darßellung zu bringen,
Daß er über gute Kenntnis der Ob-
jekte verfügt, iß felbßverßändlich. Er
geht aber darüber hinaus, indem er die
kunfitheoretifche Quellenliteratur in weitem
Maße heranzieht — was Burckhardt und
feinem Kreife noch fern lag und worauf
erß die Neueren befonders der Wiener
Schule von Riegl bis Schlößer mit Recht
Gewicht legten. Seinen ausgezeichneten
Plan, eine »gedrängte Grammatik des Re-
naiffance-Stils« zu geben, konnte L. frei-
lich in großem Maßßabe unter den heutigen
Umßänden nicht verwirklichen. Doch muß
man auch für die gebotenen Materialien
dankbar fein. Eine fo fachliche und gründ-
liche Differtation, wie die über das Porträt
<Kap. II, Abfchn. 2>, das von der Antike
durch das ganze Mittelalter bis in die Re-
naiffance verfolgt wird, geht in feinem
Charakter eines gelehrten Exkurfes fogar
weit über den Rahmen eines auch dem
»gebildeten Laien« verßändlichen Buches
hinaus. So kann man aus der Fülle des
Stoffes viel lernen und aus feiner Grup-
pierung Anregung fchöpfen.
Es fei mir geßattet, einige prinzipielle
Einwürfe, die mir bei der Lektüre des
Landsbergerfchen Buches gekommen find,
zur Erörterung zu ffellen.
Zunädhß eine Grundfrage: was ver-
ßehen wir heute eigentlich unter Renaiffance?
Vasaris »rinascita« beginnt fchon mit der
Befreiung aus der barbarifch mittelalter-
lichen »maniera bisantina« durch den
»dolce Stile nuovo« Giottos. Ob Vasari
feine eigne Zeit, alfo das fpäte 16. Jahr-
hundert, noch zur »RenailTance« gerechnet
hätte, fcheint mir fehr fraglich. Unfere
heutige Periodifierung und Terminologie
geht unmittelbar wohl auf Burckhardt zu-
rück (Früh-, Hoch-, Spät-Renaiffance,
wozu dann fpäter noch Proto-Renaiffance
für das Trecento trat. Siehe darüber das
höchß inßruktive Buch von Ad. Philippi,
Begriff der Renaiffance. Leipzig, 1912>.
Die Frage ßeht: können wir heute noch,
wie in Burckhardts Zeiten, die drei oder
auch nur zwei Jahrhunderte unter den einen
Generalnenner Renaiffance zufammenfaf-
fen? Mit welchem Recht? Der Wechfel der
Kunßanfchauungen innerhalb des Quattro-
und Cinquecento iß erfichtlich bedeutend
und einfehneidend. Geht das nun nicht
foweit, daß die Verlchiedenheit größer iß,
als die vorhandene Kontinuität? Und wenn
dies der Fall — die Kontinuität müßte
erß bewiefen werden — läßt fich dann das
alte Schema noch rechtfertigen, das 15. und
16. Jahrhundert in eine, wenn nicht einheit-
liche, fo doch eng zufammengehörige Peri-
ode zufammenzupreffen? Beßeht dann nicht
die Gefahr, daß Probleme und Begriffe,
die man als 'wefentlich für die »Renaiffance«
aufftellt, nur für eine gewiße Spanne Gel-
tung haben — etwa für die erßen zwei
Jahrzehnte des Cinquecento, aber nicht für
das Quattrocento oder ähnlich? Wird man
nicht beßändig durch Einfchränkungen oder
Zurücknahmen genötigt, ein Problem, das
eigentlich für die Renaiffance in dem ganzen
Umfange aufgeßellt werden follte, nur als
Teilproblem gelten zu laßen?
Die »Eigenbewertung des Menfchen«,
die innerhalb der Renaiffance ein neues
Moment bildet gegenüber der mittelalter-
lichen Auffaffung, äußert fich L, zufolge
zunächß in der »wachfenden Anzahl der
Agierenden« auf den Gemälden. Man kann
LITERATUR
Franz Landsberger, Die künß-
lerifchen Probleme der Renaiffanee.
Verlag von M. Niemeyer, Halle.
Jakob Burckhardts Syßematik der ita-
lienifchen Renaiffance-Ärchitektur hat auf
dem Gebiete der Plaltik und Malerei keine
Nachfolge gefunden — trotz Woelfflins
großen Fingerzeigen. Auf eine Periode
emfiglter Detailforfchung folgte als Reaktion
eine folche der Gleichgültigkeit gegenüber
dem ganzen Komplex delfen, was man »Re-
naiffance« nannte. Während diefer Ruhe-
paufe veränderte fich in vielem die kunß-
hiltorifche Gefamtlage und fomit auch die
Problemßellung der RenailTance gegenüber,
Infolgedelfen wuchs bei einem freilich noch
kleinen Teil der jüngeren Generation natur-
gemäß wiederum das Intereffe für die
grundlegenden Probleme der »RenailTance«
— gerade weil das Gefamtbild nicht mehr
klar in Erfcheinung trat und einer Revifion
bedürftig zu fein fchien. Es iß wohl fymp-
tomatifch, daß ein auf anderen Gebieten
kunfiwilTenfchaßlicher Forlchung erprobter
Gelehrter wie F. Landsberger hier in die
Brefche fpringt und den Verfuch macht,
unfer bisheriges Einzelwiffen zu zufammen-
faßender Darßellung zu bringen,
Daß er über gute Kenntnis der Ob-
jekte verfügt, iß felbßverßändlich. Er
geht aber darüber hinaus, indem er die
kunfitheoretifche Quellenliteratur in weitem
Maße heranzieht — was Burckhardt und
feinem Kreife noch fern lag und worauf
erß die Neueren befonders der Wiener
Schule von Riegl bis Schlößer mit Recht
Gewicht legten. Seinen ausgezeichneten
Plan, eine »gedrängte Grammatik des Re-
naiffance-Stils« zu geben, konnte L. frei-
lich in großem Maßßabe unter den heutigen
Umßänden nicht verwirklichen. Doch muß
man auch für die gebotenen Materialien
dankbar fein. Eine fo fachliche und gründ-
liche Differtation, wie die über das Porträt
<Kap. II, Abfchn. 2>, das von der Antike
durch das ganze Mittelalter bis in die Re-
naiffance verfolgt wird, geht in feinem
Charakter eines gelehrten Exkurfes fogar
weit über den Rahmen eines auch dem
»gebildeten Laien« verßändlichen Buches
hinaus. So kann man aus der Fülle des
Stoffes viel lernen und aus feiner Grup-
pierung Anregung fchöpfen.
Es fei mir geßattet, einige prinzipielle
Einwürfe, die mir bei der Lektüre des
Landsbergerfchen Buches gekommen find,
zur Erörterung zu ffellen.
Zunädhß eine Grundfrage: was ver-
ßehen wir heute eigentlich unter Renaiffance?
Vasaris »rinascita« beginnt fchon mit der
Befreiung aus der barbarifch mittelalter-
lichen »maniera bisantina« durch den
»dolce Stile nuovo« Giottos. Ob Vasari
feine eigne Zeit, alfo das fpäte 16. Jahr-
hundert, noch zur »RenailTance« gerechnet
hätte, fcheint mir fehr fraglich. Unfere
heutige Periodifierung und Terminologie
geht unmittelbar wohl auf Burckhardt zu-
rück (Früh-, Hoch-, Spät-Renaiffance,
wozu dann fpäter noch Proto-Renaiffance
für das Trecento trat. Siehe darüber das
höchß inßruktive Buch von Ad. Philippi,
Begriff der Renaiffance. Leipzig, 1912>.
Die Frage ßeht: können wir heute noch,
wie in Burckhardts Zeiten, die drei oder
auch nur zwei Jahrhunderte unter den einen
Generalnenner Renaiffance zufammenfaf-
fen? Mit welchem Recht? Der Wechfel der
Kunßanfchauungen innerhalb des Quattro-
und Cinquecento iß erfichtlich bedeutend
und einfehneidend. Geht das nun nicht
foweit, daß die Verlchiedenheit größer iß,
als die vorhandene Kontinuität? Und wenn
dies der Fall — die Kontinuität müßte
erß bewiefen werden — läßt fich dann das
alte Schema noch rechtfertigen, das 15. und
16. Jahrhundert in eine, wenn nicht einheit-
liche, fo doch eng zufammengehörige Peri-
ode zufammenzupreffen? Beßeht dann nicht
die Gefahr, daß Probleme und Begriffe,
die man als 'wefentlich für die »Renaiffance«
aufftellt, nur für eine gewiße Spanne Gel-
tung haben — etwa für die erßen zwei
Jahrzehnte des Cinquecento, aber nicht für
das Quattrocento oder ähnlich? Wird man
nicht beßändig durch Einfchränkungen oder
Zurücknahmen genötigt, ein Problem, das
eigentlich für die Renaiffance in dem ganzen
Umfange aufgeßellt werden follte, nur als
Teilproblem gelten zu laßen?
Die »Eigenbewertung des Menfchen«,
die innerhalb der Renaiffance ein neues
Moment bildet gegenüber der mittelalter-
lichen Auffaffung, äußert fich L, zufolge
zunächß in der »wachfenden Anzahl der
Agierenden« auf den Gemälden. Man kann