Jacopo Tintoretto — Literatur
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fpältigen Wefen, das ihm felblt eigen ift, glaubt der moderne Menfdi in den
Schöpfungen des großen Venezianers wiederzufinden. Über die heiligen Ge-
fchichten hat der Meifter einen märchenhaften Schimmer gebreitet, und die
italienifche Schönheit ift nirgends fo wie in feinen Werken durchtränkt von
einer geheimnisvollen Gewalt dunkler geiltiger Mächte, von dem Ringenden,
dem Aufwühlenden eines bis dahin unerhörten künftlerifchen Temperamentes,
von der Gewalt einer alles umfaßenden, alles in ihren Bann ziehenden und
unter ihren Geilt zwingenden Perfönlichkeit,
LITERATUR
»Kunft und Kultur«, Band II: Die
Burg von Athen, von Martin Schede.
145 Seiten mit 28 Textabbildungen von
Fritz Krifchen und 100 Abbildungen
auf 78 Tafeln. 8°. Schoetz W) Parrhyfius,
Berlin 1922.
Je höher eine Kunft fteht, defto enger
ift fie verknüpft mit dem kulturellen Leben
ihrer Zeit. So erfthließt keine Kunft ihr
eigentliches Wefen einer rein äfthetifieren-
den Betrachtungsweife. Am allerwenigften
die griechifche, die mehr als alle andern
verlangt, daß man den Geilt kennen lerne,
der aus ihr fprechen will.
Als vor 90 Jahren die türkifche Be-
fatzung der Akropolis einer bayrifchen das
Feld räumte, eröffnete fich ein neuer Weg
zur Erkenntnis griechifcher Kunft: Die
archäologifche Erforfchung Griechenlands.
Was man vorher wußte, hatte die Re-
naiffance aus zufälligen Funden des un-
erfdhöpflidien Bodens der Stadt Rom und
aus humaniftifdiem Studium der Literatur
gewonnen, — es war eine renaiffance-
mäßige Antike, nicht Griechenland. Und
als dann in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts unter Winckelmanns genialer
Führung die ganze Sehnfucht einer jungen
Generation fich der Antike zuwandte, da
war es wieder die Vermittlerin Rom, die
die freie Ausficht nach Griechenland ver-
[teilte. So wurde die klaffiziftifche Auf»
falfung der Antike geltend, der wir heute
überall begegnen, und der, geliehen wir
es, die alte Kunft ihre Unbeliebtheit in
manchen Kreifen verdankt. — Das vor»
liegende Buch wird hoffentlich dazu bei-
tragen, die Kenntnis von wirklich griechifcher
Kunft zu verbreiten. Was es bringt, find
nicht große Worte und tönende Phrafen.
Es ift auf gründlichfter Sachkenntnis auf-
gebaut ein Bild der Burg Athens, wie es
uns entfagende wiffenfchaftliche Arbeit ge-
geben hat, der keine Vafenfcherbe zu un-
bedeutend, kein Infchriftfragment zu rätfel-
haft war. Daß ein Löwenanteil diefer
Arbeit deutlch ift, fei in unferer barbarifchen
Zeit mit geziemender Befcheidenheit an-
gemerkt.
In klarer, ruhiger Schilderung zieht die
Gefchichte der Burg an uns vorüber,- der
Darftellung der politifchen Epochen fügt
fich wie felbftverftändlich die der jeweiligen
Kunft ein, eine von der andern erft recht
ins Licht geftellt. In die früheften mytho-
logifchen Zeiten führt uns der Verfaffer
zurück und läßt aus der Gewitterwolke —'
und doch wohl auch aus dem leuchten-
den Himmel? — die ftrahlende Geftalt
erflehen, den Mittelpunkt allen weiteren
Gefchehens, Athena. Heller ift Solons
Zeit: Bunte Poroskunft, fchwere Bauten,
alles noch unausgeglichen. Dann die glän-
zende Epoche der Pififtratiden: Ver-
feinerung der etwas ungebärdigen ein-
heimifch - attifchen Art durch mächtigen
jonifchen Einfluß,- ein wirklich monumen-
taler Bau, der fchon die Gefetzmäßigkeit
der dorifchen Klaffik verheißt,- in Marmor
arbeitende Künftler. — Sturz der Tyran-
nen,- nüchtern und tüchtig die Demokratie
unter Kleifthenes' Führung zu einer Bau-
tätigkeit ausholend, die die der verhaßten
Tyrannen übertreffen folf,- im Anfchluß an
peloponnefifche Art die Vorliebe für Arbeit
in Erz: — da bricht die Perfernot herein,
ftürzt die Burg in Trümmer und ver-
nichtet allen Glanz der Fürftenherrlichkeit.
Aber diefe große nationale Bedrängnis
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fpältigen Wefen, das ihm felblt eigen ift, glaubt der moderne Menfdi in den
Schöpfungen des großen Venezianers wiederzufinden. Über die heiligen Ge-
fchichten hat der Meifter einen märchenhaften Schimmer gebreitet, und die
italienifche Schönheit ift nirgends fo wie in feinen Werken durchtränkt von
einer geheimnisvollen Gewalt dunkler geiltiger Mächte, von dem Ringenden,
dem Aufwühlenden eines bis dahin unerhörten künftlerifchen Temperamentes,
von der Gewalt einer alles umfaßenden, alles in ihren Bann ziehenden und
unter ihren Geilt zwingenden Perfönlichkeit,
LITERATUR
»Kunft und Kultur«, Band II: Die
Burg von Athen, von Martin Schede.
145 Seiten mit 28 Textabbildungen von
Fritz Krifchen und 100 Abbildungen
auf 78 Tafeln. 8°. Schoetz W) Parrhyfius,
Berlin 1922.
Je höher eine Kunft fteht, defto enger
ift fie verknüpft mit dem kulturellen Leben
ihrer Zeit. So erfthließt keine Kunft ihr
eigentliches Wefen einer rein äfthetifieren-
den Betrachtungsweife. Am allerwenigften
die griechifche, die mehr als alle andern
verlangt, daß man den Geilt kennen lerne,
der aus ihr fprechen will.
Als vor 90 Jahren die türkifche Be-
fatzung der Akropolis einer bayrifchen das
Feld räumte, eröffnete fich ein neuer Weg
zur Erkenntnis griechifcher Kunft: Die
archäologifche Erforfchung Griechenlands.
Was man vorher wußte, hatte die Re-
naiffance aus zufälligen Funden des un-
erfdhöpflidien Bodens der Stadt Rom und
aus humaniftifdiem Studium der Literatur
gewonnen, — es war eine renaiffance-
mäßige Antike, nicht Griechenland. Und
als dann in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts unter Winckelmanns genialer
Führung die ganze Sehnfucht einer jungen
Generation fich der Antike zuwandte, da
war es wieder die Vermittlerin Rom, die
die freie Ausficht nach Griechenland ver-
[teilte. So wurde die klaffiziftifche Auf»
falfung der Antike geltend, der wir heute
überall begegnen, und der, geliehen wir
es, die alte Kunft ihre Unbeliebtheit in
manchen Kreifen verdankt. — Das vor»
liegende Buch wird hoffentlich dazu bei-
tragen, die Kenntnis von wirklich griechifcher
Kunft zu verbreiten. Was es bringt, find
nicht große Worte und tönende Phrafen.
Es ift auf gründlichfter Sachkenntnis auf-
gebaut ein Bild der Burg Athens, wie es
uns entfagende wiffenfchaftliche Arbeit ge-
geben hat, der keine Vafenfcherbe zu un-
bedeutend, kein Infchriftfragment zu rätfel-
haft war. Daß ein Löwenanteil diefer
Arbeit deutlch ift, fei in unferer barbarifchen
Zeit mit geziemender Befcheidenheit an-
gemerkt.
In klarer, ruhiger Schilderung zieht die
Gefchichte der Burg an uns vorüber,- der
Darftellung der politifchen Epochen fügt
fich wie felbftverftändlich die der jeweiligen
Kunft ein, eine von der andern erft recht
ins Licht geftellt. In die früheften mytho-
logifchen Zeiten führt uns der Verfaffer
zurück und läßt aus der Gewitterwolke —'
und doch wohl auch aus dem leuchten-
den Himmel? — die ftrahlende Geftalt
erflehen, den Mittelpunkt allen weiteren
Gefchehens, Athena. Heller ift Solons
Zeit: Bunte Poroskunft, fchwere Bauten,
alles noch unausgeglichen. Dann die glän-
zende Epoche der Pififtratiden: Ver-
feinerung der etwas ungebärdigen ein-
heimifch - attifchen Art durch mächtigen
jonifchen Einfluß,- ein wirklich monumen-
taler Bau, der fchon die Gefetzmäßigkeit
der dorifchen Klaffik verheißt,- in Marmor
arbeitende Künftler. — Sturz der Tyran-
nen,- nüchtern und tüchtig die Demokratie
unter Kleifthenes' Führung zu einer Bau-
tätigkeit ausholend, die die der verhaßten
Tyrannen übertreffen folf,- im Anfchluß an
peloponnefifche Art die Vorliebe für Arbeit
in Erz: — da bricht die Perfernot herein,
ftürzt die Burg in Trümmer und ver-
nichtet allen Glanz der Fürftenherrlichkeit.
Aber diefe große nationale Bedrängnis