KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER:
CURTGLASER ■ G U S T A V K I R S T E I N • HANSTIETZE
VERANTWORTLICHE REDAKTION:
ALFRED KUHN
NR. 17 26. JANUAR ' 1923
Einfendungsftelle für alleManufkripte, außer Österreich und München: Dr. Alfred Kuhn,
Berlin = Friedenau,Fregefir. 26,Tel.:Rheingaul70'FürÖIterreich:WienerRedaktion,Prof.
Dr. H. Tietze.WienXIX, Armbrultergaffe20-FürMünchen:Mün<henerRedaktion, Dr, Hans
Rupe, München, Widenmayerltr. 39III ■ Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hofpitalltr. 11a
DIE GLAS GEMÄLDE
DER KATHEDRALE VON ST. QUENTIN
VON PAUL CLEMEN
DIE Agentur Radio, neben der Agence Havas heute wohl die größte
franzöfifche Nachrichtenagentur, hat in den letzten Oktobertagen des
Jahres 1922 aus Lüttich einen höchft überrafchenden und phantalievollen Be-
richt über die angebliche Wiederentdeckung der Glakgemälde aus der Kathe-
drale von St. Quentin in die Welt gefetzt, einen Bericht, der Pich fo deut-
lieh als eine ungewöhnlich alberne Erfindung mit einem wahren Weichfel-
zopf von Verdrehungen und Mißverltändnilfen ergab, daß man zunächft glauben
durfte, ihn nicht ernft nehmen zu follen. Diefe Notiz ift aber mit fichtlichem
Behagen von den belgifchen und franzöfifchen Zeitungen weiter getragen
worden,- nicht nur die gewöhnlichen Hetzorgane haben fie aufgegriffen, fondern
auch ernfthafte Blätter, wie der »Gaulois« und das »Journal des Debats«,
haben fie wiedergegeben, ohne daß auch nur eines für nötig gehalten hätte,
fich an zultändiger Stelle zu erkundigen. Der Bericht ilt dann weiter in die
Blätter des Auslandes übergegangen, nicht nur in die englifdhen Zeitungen,
ebenfo wie auch in die neutralen Blätter, in Holland, der Schweiz, in Skan-
dinavien und wahrfcheinlich noch weiter. Nur »Het Vaderland« hat aus
fich heraus unter Berufung auf die vorliegenden amtlichen Berichte wie unter
Berufung auf den gefunden Menfchenverltand diefen Unfinn abgelehnt. »Daily
Mail« und »Pall Mall Gazette« haben diefe anmutige Anekdote dramatifch
ausgeltaltet, der Lütticher »Express« hat einen Dialog in mehreren Akten
daraus gemacht und die handelnden Perfonen in direkter Rede auftreten lallen.
Die hier mitgeteilte Gefchidhte wurde dann von den im Rheinland erfcheinen-
den franzöfifchen Zeitungen »Echo du Rhin« und »Republique« weiter ver-
breitet und wie von der »Pall Mall Gazette« kommentiert unter Berufung
auf die Schilderung in den Erinnerungen Kaifer Wilhelms II. Hiernach feien
die berühmten frühgotifchen Glasgemälde der Kathedrale, die, wie eben in
jenem Erinnerungsbuch zu lefen, auf Befehl des Kaifers von deutfehen Soldaten
HERAUSGEBER:
CURTGLASER ■ G U S T A V K I R S T E I N • HANSTIETZE
VERANTWORTLICHE REDAKTION:
ALFRED KUHN
NR. 17 26. JANUAR ' 1923
Einfendungsftelle für alleManufkripte, außer Österreich und München: Dr. Alfred Kuhn,
Berlin = Friedenau,Fregefir. 26,Tel.:Rheingaul70'FürÖIterreich:WienerRedaktion,Prof.
Dr. H. Tietze.WienXIX, Armbrultergaffe20-FürMünchen:Mün<henerRedaktion, Dr, Hans
Rupe, München, Widenmayerltr. 39III ■ Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hofpitalltr. 11a
DIE GLAS GEMÄLDE
DER KATHEDRALE VON ST. QUENTIN
VON PAUL CLEMEN
DIE Agentur Radio, neben der Agence Havas heute wohl die größte
franzöfifche Nachrichtenagentur, hat in den letzten Oktobertagen des
Jahres 1922 aus Lüttich einen höchft überrafchenden und phantalievollen Be-
richt über die angebliche Wiederentdeckung der Glakgemälde aus der Kathe-
drale von St. Quentin in die Welt gefetzt, einen Bericht, der Pich fo deut-
lieh als eine ungewöhnlich alberne Erfindung mit einem wahren Weichfel-
zopf von Verdrehungen und Mißverltändnilfen ergab, daß man zunächft glauben
durfte, ihn nicht ernft nehmen zu follen. Diefe Notiz ift aber mit fichtlichem
Behagen von den belgifchen und franzöfifchen Zeitungen weiter getragen
worden,- nicht nur die gewöhnlichen Hetzorgane haben fie aufgegriffen, fondern
auch ernfthafte Blätter, wie der »Gaulois« und das »Journal des Debats«,
haben fie wiedergegeben, ohne daß auch nur eines für nötig gehalten hätte,
fich an zultändiger Stelle zu erkundigen. Der Bericht ilt dann weiter in die
Blätter des Auslandes übergegangen, nicht nur in die englifdhen Zeitungen,
ebenfo wie auch in die neutralen Blätter, in Holland, der Schweiz, in Skan-
dinavien und wahrfcheinlich noch weiter. Nur »Het Vaderland« hat aus
fich heraus unter Berufung auf die vorliegenden amtlichen Berichte wie unter
Berufung auf den gefunden Menfchenverltand diefen Unfinn abgelehnt. »Daily
Mail« und »Pall Mall Gazette« haben diefe anmutige Anekdote dramatifch
ausgeltaltet, der Lütticher »Express« hat einen Dialog in mehreren Akten
daraus gemacht und die handelnden Perfonen in direkter Rede auftreten lallen.
Die hier mitgeteilte Gefchidhte wurde dann von den im Rheinland erfcheinen-
den franzöfifchen Zeitungen »Echo du Rhin« und »Republique« weiter ver-
breitet und wie von der »Pall Mall Gazette« kommentiert unter Berufung
auf die Schilderung in den Erinnerungen Kaifer Wilhelms II. Hiernach feien
die berühmten frühgotifchen Glasgemälde der Kathedrale, die, wie eben in
jenem Erinnerungsbuch zu lefen, auf Befehl des Kaifers von deutfehen Soldaten