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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1922/​1923 (Oktober-März)

DOI issue:
Nr. 24
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Kuhn, Alfred: Edvard Munch: anlässlich der Ausstellung seines graphischen Werkes im Kupferstichkabinett zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.41225#0471

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KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER:
CURT GLASER • GUSTAV KIRSTEIN ■ HANS TIETEE
VERANTWORTLICHE REDAKTION
ALFRED KUHN
NR. 24 16. MÄRZ 1923
Einfendungsftelle für alle Manu fkripte, außer-Österreich und München: Dr. Alfred Kuhn,
Berlin = Friedenau,Fregeltr. 26,Tel.:Rheingau 170 •FürÖfterreich:WienerRedaktion,Prof.
Dr. H. Tietze.WienXIX, ArmbrultergafIe20'FürMünchen:MünchenerRedaktionz Dr, Hans
Rupe,München, Widenmayerltr. 39III • Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hofpitalltr. 11a

EDVARD MUNCH
ANLÄSSLICH DER AUSSTELLUNG SEINES GRAPHISCHEN WERKES
IM KUPFERSTICHKABINETT ZU BERLIN
DA, wo die Epoche anhebf, die wir die impreffioniftifcEmaterialiftifche nennen,
oder belfer, da, wo der Geilt jener Zeit fo reif geworden, daß er in
das Stadium der Objektivation eintreten konnte, liehen die Dioskuren Manet-
Zola. In ihnen läßt fich alles zufammenfaflen, was jenen Tagen irgendwie
wertvoll war. Gefunde Erdenhafti'gkeit ift beiden eigen, Bejahung der Bürger^
lichkeit und eine enthufialtifche Diesfeitigkeit. In diefem Künftler= und Freundes^
paar vollendet fich ein bürgerliches Zeitalter im Lande des Bürgertums fchlechthin.
Neben ihnen, unverftanden und unbequem, wächft Cezanne als der Bote
einer ganz neuen Einftellung. Kaum noch in das Stadium der Vollendung
getreten, wird das Weltbild der Manet-Zola fchon wieder zerfrört,
Seltfame Ähnlichkeit zeigt die Entwicklung im Norden. Eben hatte dort
Ibfen dem Bürgertum zum Sieg verhülfen, die Diesfeitigkeit war, gerade hier
unter doppelt fchwierigen Verhältniflen, begründet worden; da fchiebt fich fchon
das unbürgerliche Prinzip neben ihm in Strindberg herauf, alles eben Errungene
in Frage {teilend, eine Welten wende ankündigend, wie fie nur der Ausgang
des 18. Jahrhunderts gefehen hatte. An feiner Seite fteht Munch.
Strindberg und Munch find die Feinde des Bürgertums. Inftinktiv hat
dies die Gefellfchaft gefühlt und fie mit allen erdenklichen Mitteln bekämpft.
Der von den Manet-ZolaMblen herbeigeführten Verkündigung im Objektiven
fetzten fie ihre fchroffe Subjektivität entgegen. Jene hatten um die bürger-
liche Befreiung gekämpft, um das Recht des Individuums in der Gefellfchaft,
diefe kannten nur den Menfchen überhaupt, den Menfchen, namenlos, zeitlos,
auf der Weltfcheibe ftehend, unter ihm die mütterliche Erde und über ihm
die unendliche Weite des Himmels.
Der mit allen Kenntnilfen feiner Zeit und der Vergangenheit Gerüftete
tritt bei ZolaMbfen der Gefellfchaft gegenüber und nimmt den Kampf mit ihr
auf. Kulturwilfen gibt ihm die Mittel, feine Individualexiftenz fo zu fchärfen.
 
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