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JACOPO TINTORETTO
VON ERICH V. D. BERCKEN UND AUGUST L. MAyER
(Aus dem demnäcblt im Verlage von R. Piper ® Co,,
Mündien, erfcheinenden Buche »Jacopo Tintoretto«, von
Erich v. d, Bercken und Auguft L. Mayer, Band I,>
RFÜLLT von den tiefften Gegenfätzen, die nur je in eines Künftlers
J—z Seele vorhanden waren, in fich vereinigend die größten Widerfpriiche,
die Lebensanfchauung und künftlerifches Schaffen voneinander trennen können:
fo erfcheint uns Jacopo Tintoretto, Die äußerlte Askefe der Gefinnung, eine
herbe und ftrenge Religiofität, ein uns unmittelbar packender, dufterer Ernft
der Auffaffung finden fich in ihm vereint mit einer letzten Steigerung rein
artiftifcher Tendenzen, einer oft geradezu fpielerifchen Grazie, einem Luxus
aller Kunftmittel, einer zum höchften getriebenen Sinnlichkeit, einem unerhörten
Kultus der Linie und der Farbe um ihrer felbft willen.
Ein ganz neues Verhältnis zur Welt fpricht fich in den Schöpfungen
Tintorettos aus. Die venezianifche Malerei, aus der er hervorging, hatte eine
Bejahung des Lebens bedeutet, eine letzte Verklärung des Dafeins, ohne doch
jemals den Boden der Wirklichkeit zu verlieren. Tintorettos Kunft führt über
das Diesfeits hinaus,- fie ift nicht fchlechthin lebensverneinend, fie ift nicht as-
ketifch im eigentlichen Sinne, fie führt nicht in ein Reich fchrankenlofer Phantafie:
es ift vielmehr jenes eigentümliche In=Diftanz=Setzen der Wirklichkeit, die
Verwandlung der Bilderfcheinung in eine aller Greifbarkeit entrückte Vifion,
das Ertränken der Darftellung in einem Meer von Färbe, von Licht und
von Dunkelheit, jene feltfam artiftifche, artifizielle Umbildung aller Dinge, was
ihnen ihre unmittelbare Wirklichkeit raubt und fie gerade dadurch, daß ihnen
alle Materialität genommen ift, um fo elementarer, um fo eindringlicher zur
Seele fprechen läßt.
Tintorettos Vorläufer in der Malerei von Venedig: Giovanni Bellini,
Tizian, Bonifazio waren Kinder eines ganz anderen Zeitalters. Nie ift bei
Giambellini, nie bei Tizian oder Bonifazio eine folche Erfchütterung zu ver-
fpüren, nie auch vermitteln diefe Maler gleichzeitig fo fehr das Gefühl einer
Loslöfung von allem wirklichen Dafein, wie dies Tintorettos Werke — trotz
aller unmittelbar fortreißenden Leidenfchaft, alle Tiefen aufwühlenden Emp-
findung — in uns hervorrufen.
Kein anderer Maler — Michelangelo vielleicht ausgenommen — hat fo
fehr mit dem Dafein gerungen, keiner fo tief unter dem Leben leiden müffen.
Jene verklärte Ruhe, jene glückfelige Stimmung, die uns in den Schöpfungen
eines Giovanni Bellini in fo hohem Maße entzüdct — fie ift Tintoretto alle-
zeit fremd geblieben,- die Harmonie Tizians und Bonifazios erfcheint naiv im
Vergleich zu dem Ethos und der Menfchlichkeit Tintorettos. Das tieffte Mit-
JACOPO TINTORETTO
VON ERICH V. D. BERCKEN UND AUGUST L. MAyER
(Aus dem demnäcblt im Verlage von R. Piper ® Co,,
Mündien, erfcheinenden Buche »Jacopo Tintoretto«, von
Erich v. d, Bercken und Auguft L. Mayer, Band I,>
RFÜLLT von den tiefften Gegenfätzen, die nur je in eines Künftlers
J—z Seele vorhanden waren, in fich vereinigend die größten Widerfpriiche,
die Lebensanfchauung und künftlerifches Schaffen voneinander trennen können:
fo erfcheint uns Jacopo Tintoretto, Die äußerlte Askefe der Gefinnung, eine
herbe und ftrenge Religiofität, ein uns unmittelbar packender, dufterer Ernft
der Auffaffung finden fich in ihm vereint mit einer letzten Steigerung rein
artiftifcher Tendenzen, einer oft geradezu fpielerifchen Grazie, einem Luxus
aller Kunftmittel, einer zum höchften getriebenen Sinnlichkeit, einem unerhörten
Kultus der Linie und der Farbe um ihrer felbft willen.
Ein ganz neues Verhältnis zur Welt fpricht fich in den Schöpfungen
Tintorettos aus. Die venezianifche Malerei, aus der er hervorging, hatte eine
Bejahung des Lebens bedeutet, eine letzte Verklärung des Dafeins, ohne doch
jemals den Boden der Wirklichkeit zu verlieren. Tintorettos Kunft führt über
das Diesfeits hinaus,- fie ift nicht fchlechthin lebensverneinend, fie ift nicht as-
ketifch im eigentlichen Sinne, fie führt nicht in ein Reich fchrankenlofer Phantafie:
es ift vielmehr jenes eigentümliche In=Diftanz=Setzen der Wirklichkeit, die
Verwandlung der Bilderfcheinung in eine aller Greifbarkeit entrückte Vifion,
das Ertränken der Darftellung in einem Meer von Färbe, von Licht und
von Dunkelheit, jene feltfam artiftifche, artifizielle Umbildung aller Dinge, was
ihnen ihre unmittelbare Wirklichkeit raubt und fie gerade dadurch, daß ihnen
alle Materialität genommen ift, um fo elementarer, um fo eindringlicher zur
Seele fprechen läßt.
Tintorettos Vorläufer in der Malerei von Venedig: Giovanni Bellini,
Tizian, Bonifazio waren Kinder eines ganz anderen Zeitalters. Nie ift bei
Giambellini, nie bei Tizian oder Bonifazio eine folche Erfchütterung zu ver-
fpüren, nie auch vermitteln diefe Maler gleichzeitig fo fehr das Gefühl einer
Loslöfung von allem wirklichen Dafein, wie dies Tintorettos Werke — trotz
aller unmittelbar fortreißenden Leidenfchaft, alle Tiefen aufwühlenden Emp-
findung — in uns hervorrufen.
Kein anderer Maler — Michelangelo vielleicht ausgenommen — hat fo
fehr mit dem Dafein gerungen, keiner fo tief unter dem Leben leiden müffen.
Jene verklärte Ruhe, jene glückfelige Stimmung, die uns in den Schöpfungen
eines Giovanni Bellini in fo hohem Maße entzüdct — fie ift Tintoretto alle-
zeit fremd geblieben,- die Harmonie Tizians und Bonifazios erfcheint naiv im
Vergleich zu dem Ethos und der Menfchlichkeit Tintorettos. Das tieffte Mit-